ReportagePiratenjagd am Horn von Afrika

Mehr als 20 Schiffe und über 500 Menschen sind am Horn von Afrika in der Gewalt von Piraten. Handelsblatt Online begleitete die portugiesische Fregatte „Vasco da Gama“ Mitte April zehn Tage lang auf ihrer Jagd nach somalischen Piraten. Und mit einem Seeaufklärer der deutschen Marine  flog Reporter Florian Brückner über die Ostküste Somalias - über Camps und gekaperte Schiffe der Piraten.

Tag 06 – Die Vasco da Gama nimmt die Verfolgung auf

Die Verfolgungsjagd kündigt sich mit einem Sirren an, einem Rauschen im Ohr wie von einem Düsentriebwerk. Das ganze Schiff vibriert, leicht, aber spürbar. Der Boden unter den Füßen fühlt sich an, als ob die „Vasco da Gama“ auf den Wellen reiten würde. Ganz so ist es zwar nicht, aber mitten in der Nacht pflügt die Fregatte fast mit Höchstgeschwindigkeit durch den Golf von Aden.

Die Diesel sind aus, die beiden Gasturbinen, Triebwerke ähnlich denen eines Düsenflugzeuges, sind zugeschaltet. Mit 28 Knoten rauscht das Kriegsschiff übers Meer. Die See schäumt. Ein Notruf der „Siva Ghent“ . 47 Meilen von der „Vasco da Gama“ entfernt hat die Crew des unter der Flagge Hongkongs fahrenden Produktentankers achtern zwei kleine Boote ausgemacht.

„Und nachdem sie über den offenen Kanal einen Funkspruch abgesetzt haben“, sagt Kapitänleutnant João Piedade auf der Brücke der Frigatte „sollen die Lichter der beiden Schiffe ausgegangenen und sie mit 25 Knoten abgedreht sein.“ In der Dunkelheit ist sein Gesicht nur noch schemenhaft zu erahnen. In einem Raum hinter der Brücke ziehen die Marines ihre Ausrüstung an.

Rings um Piedade herum sucht die Besatzung der Brücke mit Infrarot-Ferngläsern den Horizont auf. Der Radar kann kleine Boote, wie sie die Piraten in der Regel benutzen, nur innerhalb einer Entfernung von drei Meilen orten. Die „Vasco da Gama“ ist ein Schiff des kalten Krieges, ein Allrounder, gerüstet für viele Fälle - aber kein Piratenjäger. Die Suche nach den kleinen Schiffen der Piraten geht wie in alten Zeiten vonstatten: mit Fernglas und bloßem Auge. Die von der Fregatte aufgewühlte See leuchtet weiß im Mondlicht.

Im Ausguck neben der Brücke ist erst der Helm, dann das Scharfschützengewehr eines der Marines zu sehen. Aus dem Lautsprecher des Funkgeräts krächzt die Stimme des Hubschrauberpiloten. Bacardi, so der Operationsname des Helikopters, ist in der Luft. „Erst haben wir ihn zur Sicherung zu dem Tanker geschickt, nun sucht er nach den flüchtigen Booten“, sagt Piedade, während die Klimaanlage gegen die schwüle Luft ankämpft.

Drei Lichtpunkte am Horizont. Die „Siva Ghent“. Eigentlich wollte die „Vasco da Gama“ dort kurz stoppen, sich vergewissern, dass alles in Ordnung ist. Aber die Fahrt geht weiter. Die Fregatte prescht vorbei. 28 Knoten. Aber keine Spur von den angeblichen Piratenschiffen. Wieder falscher Alarm? Der Hubschrauber kehrt um. Es ist vorbei. „Letzten Endes, wenn es denn ein Angriff war, haben wir unser Ziel erreicht“, sagt Piedade. „Wir sind nicht hier um Piraten zu fangen, sondern um sie an ihrer Arbeit zu hindern. Das ist uns gelungen.“

Aber ganz vorbei ist es doch noch nichti. Die Ruhe im Golf von Aden dauert nur ein paar Stunden an. Zur Mittagszeit geht die Hatz von Neuem los. Ein Aufklärungsflugzeug der Marine Singapurs hat um 13 Uhr ein verdächtiges Boot ausgemacht. Eine 15 Meter lange Dhau – eines der größeren somalischen Frachtschiffe. Wieder steigt der Helikopter der „Vasco da Gama“ auf – und entdeckt das Schiff rund 60 Seemeilen von der Fregatte.

Die Angaben des Seeaufklärers stimmen: An Bord der Dhau befinden sich mehrere Boote, Leitern und Haken. Typisches Piratenwerkzeug. Aber dieses Mal kann das Schiff nicht entkommen. Von Osten aus fährt die „Vasco da Gama“ mit 28 Knoten heran, von Südwesten stößt der finnische Minenleger „Pohjanmaa“ hinzu.

Geschätzte Zeit bis zum Kontakt für die „Vasco da Gama“? Eine Stunde. Der Erste Offizier, João Folgado Bargado, sitzt mit verschränkten Armen vor dem großen runden Radarschirm im Operationsraum. Neben ihm ein Schiffseinsatzoffizier und ein Lagebildmanager.  Bargado starrt ins Leere, hört zu - aus den Lautsprechern dröhnt eine Stimme der „Pohjanmaa“. Wenig später eine des Zerstörers „USS-Mason“. Alle Kriegsschiffe wissen über den Einsatz Bescheid.

Sechs Männer sind an Bord der Dhau gesichtet worden, die mit acht Knoten unterwegs ist. Am Ende werden es die Finnen sein, die die Somalis als erste erreichen – und kein Kommando an Bord schicken. Ein ganz normales Frachtschiff. Falscher Alarm. Was bleibt, sind Fragen – vor allem, was die Piratenjagd aus der Nacht zuvor angeht.

„Eigentlich greifen die Piraten in der Dunkelheit nicht an. Es ist dann einfach zu gefährlich, ein Schiff zu entern“, sagt Piedade, Wachleiter der Operationszentrale. Bislang haben sie das meistens auch nicht getan. „Das Gros der Angriffe war entweder tatsächlich tagsüber oder in der Morgendämmerung.“ Wenn die beiden Boote allerdings tatsächlich Piraten gewesen sein sollten, „dann hätten sie ihre Taktik geändert“. Dafür gäbe es angesichts der großen Militärpräsenz auch einen guten Grund.

„Und erst recht bei Vollmond wäre es für die Piraten ein Leichtes, Frachtschiffe auszumachen“, überlegt der Erste Offizier Bargado. Wenn der Vollmond dick und weiß wie eine alte Glühbirne am Himmel hängt, sind bereits früher hin und wieder Piraten auf die Jagd gegangen. Vielleicht haben sie es gerade wieder versucht.

Rundgang an Bord