ReportagePiratenjagd am Horn von Afrika

Mehr als 20 Schiffe und über 500 Menschen sind am Horn von Afrika in der Gewalt von Piraten. Handelsblatt Online begleitete die portugiesische Fregatte „Vasco da Gama“ Mitte April zehn Tage lang auf ihrer Jagd nach somalischen Piraten. Und mit einem Seeaufklärer der deutschen Marine  flog Reporter Florian Brückner über die Ostküste Somalias - über Camps und gekaperte Schiffe der Piraten.

Tag 04 – Wo sind die Piraten geblieben?

Mit einem lauten Knall schlägt das graue Schlauchboot auf dem Wasser auf. Ein harter Ruck erschüttert die Männer an Bord. Meerwasser spritzt an Bord. Korporal Ivo Soares reißt das Steuerrad herum, gibt Vollgas und prescht mit dem Beiboot der „Vasco da Gama“ in einem langen Bogen steuerbords auf einen neuen Wellenkamm zu. Gleich wird das Schlauchboot wieder abheben. Festhalten.

Die Sonne an diesem Spätnachmittag hat das Meer im Golf von Aden in ein tiefes Blau getaucht. Von Bord der portugiesischen Fregatte aus sehen die Wellen klein, geradezu freundlich aus, wogen munter vor sich hin. Tatsächlich sind sie eineinhalb Meter hoch. Für die „Vasco da Gama“ kein Problem. Für die Seeleute an Bord des Schlauchbootes auch nicht – solange es nur ringsherum um die „Vasco da Gama“ geht.

„Aber für Piraten, die mit ihren kleinen Booten ein Schiff entern wollen, sind die Bedingungen keineswegs optimal. Das Entern eines Schiffes bei voller Fahrt wird dann ausgesprochen schwierig“, sagt Korvettenkapitän  Miguel Algarvio später an Bord der „Vasco da Gama“. Er gehört zum Führungsstab der Operation Atalanta. Ab und an lässt die Fregatte eines ihrer beiden Schlauchboote zu Wasser, um sich ein direktes Bild vom Wellengang auf See für kleine Boote zu verschaffen. Algarvio steht im Planungsraum vor einer großen Landkarte, während die Crew eines der beiden Boote mit einem Kran an wieder an Bord holt. „Im Moment ist das Wetter vor der somalischen Küste  ungünstig für die Piraten.“ Zu viel Wind – und damit auch zu starke Wellen.

Ein Grund dafür, dass von den Piraten bislang jede Spur fehlt. Stundenlang blicken die Frauen und Männer auf der Brücke durch ihre Ferngläser in den Dunst hinaus. Die Routine hält die Mannschaften auf Trab. Rundgänge, Wache abwechseln, Schiffe notieren. Sonst nichts – bis auf die endlose Folge von Handelsschiffen, die sich langsam durch diese wichtige Lebensader des Welthandels schiebt.

Laut den Vereinten Nationen passieren jährlich 22.000 bis 25.000 Schiffe den Suez Kanal. Und jeden Tag werden 3,3 Millionen Barrel Öl durch die Straße von Bab-al-Mandeb - die zwischen den Küsten Djiboutis im Süden und des Jemens im Norden verläuft - transportiert.

Die Piraten wissen, wie wichtig dieser Seeweg ist. Und dass von ihnen bislang jede Spur fehlt, ist ungewöhnlich. Normalerweise ist im April wegen der eigentlich guten Wetterlage Hochsaison für Piraten. Und genauso hatte der April auch angefangen: Am 8. April etwa war der Frachter „Susan K“ der deutschen Reederei Nimmrich und Prahm nur 35 Seemeilen vor der omanischen Küste entfernt gekapert worden. Die deutsche Fregatte „Niedersachsen“ war zur Rettung geeilt - kam aber zu spät.

Laut dem International Maritime Bureau (IMB) der Internationalen Handelskammer (ICC) ist die Zahl der Piratenattacken zu Beginn dieses Jahres dramatisch angestiegen. 142 Zwischenfälle mit Piraten sind im ersten Quartal registriert worden, doppelt so viele wie ein Jahr zuvor (67), heißt es in einem Quartalsbericht des IMB. Vor Somalia, im Persischen Golf und am Golf von Aden hat sich die Lage demnach deutlich verschlechtert: 97 Überfälle, fast dreimal so viel wie ein Jahr zuvor (35) - und dies trotz der Militärpatrouillen vor Somalia und im Golf von Aden.   Bei der EUNAVFOR bewertet man die Lage etwas anders. Bevor die „Vasco da Gama“ in See stechen sollte, war der spanische Konteradmiral Juan Rodriguez für einen kurzen Besuch an Bord der Fregatte gekommen. Der Spanier war vier Monate lang Kommandant der europäischen Marineflotte, die mit der Operation Atalanta (EU NAVFOR) unter anderem vor der Küste Somalias für Ruhe sorgen soll. Sein Resumee unterscheidet sich deutlich von dem des IMB.

„Speziell in den vergangenen zwei Monaten hat sich die Lage verbessert. Wir haben große Fortschritte erzielt“, sagt Rodriguez. Nur noch ein Viertel so viele Überfälle wie früher seien zuletzt zu verzeichnen gewesen. Ein Widerspruch? Keineswegs.

Die Piratenangriffe haben sich wegen all der Kriegsschiffe schlicht verlagert - vom Golf von Aden in das Arabische Meer bis vor die indische Küste, wie es etwa im Pirateriebericht der Bundespolizei See für das Jahr 2010 heißt. Die Piraten nutzen so genannte Mutterschiffe, die kleinere Boote aufnehmen können, um ihr Operationsgebiet zu erweitern. Das stellt die internationale Marine vor ganz neue, größere Probleme. Denn eine Überwachung des „riesigen“ Einsatzraumes im Indischen Ozean, so der Bericht der Bundespolizei, sei „faktisch nicht möglich“.

Wie massiv die Militärpräsenz im Golf von Aden - vor allem im International empfohlenen Transitkorridor (IRTC) wiederum ist, wird auf der  „Vasco da Gama“ deutlich. Im ständigen Dämmerlicht der Operationszentrale  unterhalb der Brücke ruft Korvettenkapitän João Piedade auf einem großen Flachbildschirm eine Übersichtskarte auf: Punkte, Namen, eine ganze Menge davon leuchten auf. Mason, Giresun, Pohjanmaa, Niedersachsen - um nur einige zu nennen.  „Das sind alles Kriegsschiffe“, sagt Piedade.

Und die Piraten? Die, so die Meinung der Offiziere an Bord, sind professioneller geworden. „Sie sind zum Beispiel nicht mehr so opportunistisch wie früher“, sagt Korvettenkapitän Miguel Algarvio. Täglich werten er und seine Kollegen vom Stab der EUNAVFOR die jüngsten Nachrichten aus. „Die Piraten wählen sich ihre Ziele sorgfältig aus. Sie fahren nicht mehr einfach so aufs Meer hinaus.“ So gesehen ist die Ruhe der letzten Tage kein gutes Zeichen. Was haben die Piraten vor? Die Geheimdienste wissen nur wenig. Die Lage in Somalia ist zu unübersichtlich, zu gefährlich. Die Übergangsregierung, die afrikanische Amisom-Mission, die extremistische al-Shabaab, verfeindete Clans.

Dass die große Militärpräsenz im Golf von Aden die Piraten aber auf Dauer abschrecken, vielleicht gar die Piraterie ganz beenden wird, glaubt an Bord kaum jemand. Die Erfolge der Piraten in der Vergangenheit würden zunehmend jüngere Männer und vor allem auch Kriminelle auf See locken. Die Lösegelder in der Vergangenheit waren zu hoch, die Verlockung auf Beute ist zu groß. „Es kann jederzeit losgehen“, sagt Algarvio. Sein Blick ist ernst.

Und dieses Gefühl haben offenbar auch die vielen Handelsschiffe, die durch den Golf von Aden fahren. Die Besatzungen der Containerschiffe, Tanker und Schüttgutfrachter sind  nervös. „Wann immer sie etwas Verdächtiges sehen, schlagen sie sofort Alarm“, sagt Algarvio. Sieben Fehlalarme in vier Tagen haben die „Vasco da Gama“ erreicht.Und noch immer keine Spur von den Piraten.

Wo sind die Piraten geblieben/Mit dem Schlauchboot