ReportagePiratenjagd am Horn von Afrika

Mehr als 20 Schiffe und über 500 Menschen sind am Horn von Afrika in der Gewalt von Piraten. Handelsblatt Online begleitete die portugiesische Fregatte „Vasco da Gama“ Mitte April zehn Tage lang auf ihrer Jagd nach somalischen Piraten. Und mit einem Seeaufklärer der deutschen Marine  flog Reporter Florian Brückner über die Ostküste Somalias - über Camps und gekaperte Schiffe der Piraten.

Tag 11 – Gefangen im Piratennetz

Eins nach dem anderen kommt in Sichtweite: die „Iceberg 1“, die „Suez“, die „Eagle“, die „Yuan Xiang“, die „Huang Son Sun“, die „Sinar Kundus“ – und noch sechs weitere Handelsschiffe. Allesamt gekapert, entführt von Piraten vor die Ostküste Somalias. Der hellgelbe Strand ist nah - für die Geiseln, die gefangenen Seeleute und ihre Offizieren an Bord ist er unerreichbar.

Das Bild aus fast 18.000 Fuß Höhe durch das kleine Fenster des Seeaufklärers sieht unwirklich aus, fast irreal. Direkt unter dem Flugzeug der Bundeswehr ankert eine Flotte von Schiffen, deren Crews teils seit Monaten darauf warten ausgelöst und freigelassen zu werden. Die 24 Mann Besatzung der „Iceberg 1“ etwa befindet sich seit dem 29. März 2010 in der Hand der Piraten – seit mehr als einem Jahr.

Die hellgraue Lockheed P-3C Orion der deutschen Marine dreht, fliegt erneut über die Schiffe, die wie gefangene Insekten im Netz einer Spinne festsitzen. Der heutige Befehl für die Deutschen kommt von Bord der portugiesischen Fregatte „Vasco da Gama“. Kommodore Alberto Correia, der derzeitige Oberfehlshaber der europäischen Operation Atalanta im Golf von Aden, hat das Aufklärungsflugzeug an die Ostküste Somalias geschickt. Zur Mittagszeit ist die Orion im Einsatzgebiet angekommen.

Dort soll die elfköpfige Crew die Küstenlinie abfliegen und die Lage der gekaperten Schiffe und der bekannten Piraten-Camps überprüfen. Kapitän Thomas Krey, Kommandeur des deutschen P3-Kontingents in Djibouti, zeigt auf eine Landkarte. Sie ist mit roten Punkten übersät, 24 an der Zahl. Dort sind die gekaperten Schiffe zum letzten Mal gesichtet worden.

Gut drei Stunden war die Orion von ihrem Startplatz auf einer französischen Luftwaffenbasis in Djibouti bis hierher unterwegs. In Djibouti haben die Deutschen ein kleines Containerdorf in einem Hangar aufgebaut. Seit Dezember 2008 nimmt die Bundeswehr an der Operation Atalanta teil. Von Anfang an auch mit einem Seeaufklärer, der immer wieder für mehrere Monate in Djibouti stationiert ist. Jeden zweiten Tag brechen die Deutschen von dort zu einer Mission auf.

Heute wird die Orion zehn Stunden in der Luft sein. Vor der Küste Somalias bleiben dem Flugzeug drei Stunden, bis es sich wieder auf den Rückweg machen muss.  

Der Himmel ist fast wolkenlos, die Sicht könnte dennoch besser sein. Ein Dunstschleier hängt über der Küste. Das Dröhnen der vier Propellerturbinen hallt durch den Rumpf  des Flugzeugs. Es ist frisch, die Klimaanlage hat die Kabine ausgekühlt. Die Soldaten sitzen an ihren dunklen Arbeitsplätzen, starren auf ihre Bildschirme.

Ein Piratencamp aus der Luft

Ein Piratencamp an der Ostküste Somalias. Die Aufnahme entstand mit einer hochauflösenden Kamera eines Seeaufklärers der deutschen Marine. Rechts sind weiße Skiffs, kleine Boote zu sehen, die mit Außenbordmotoren angetrieben werden. Auf der linken Seite des Bildes stehen die Häuser der Piraten - die Zeit, in der die Seeräuber unter umgekippten Booten am Strand oder in Zelten geschlafen haben, sind vorbei. Im Sand finden sich auch einige Reifenspuren. Ein weiterer Beweis dafür, dass sich die Infrastruktur der Piraten bedeutend verbessert hat. Die somalischen Piraten von heute fahren an Land moderne Geländewagen. Das Lösegeld fließt zu einem hohen Anteil nach Meinung von Experten an Hintermänner, die damit wiederum Ausrüstung besorgen und neue Kaper-Aktionen finanzieren.

Ein Stabsbootsmann zählt die gekaperten Schiffe durch. Auf seinem Schoß liegt eine Mappe mit allen Schiffen, die jetzt in der Hand von Piraten sind. Alle noch an ihrem bekannten Ankerplatz? Sein orangefarbener Kugelschreiber wandert über einen Monitor, auf dem die Bilder aus der hochauflösenden Kamera im Bug der Orion zu sehen sind. Eins, zwei – und dort ist die „Rosalia D'Amato“.

Es ist erst ein paar Tage her, da hatte die Mannschaft der portugiesischen Fregatte  „Vasco da Gama“ von dem Notruf des italienischen Schüttgutfrachters erfahren. Östlich des Golfs von Aden, kurz vor dem Arabischen Meer hatte die Rosalia D'Amato den Angriff von Piraten gemeldet – aber kein Kriegsschiff war in der Nähe.

Fernab der massiven Militärpräsenz im Golf von Aden hatten Piraten das Schiff ins Visier genommen. Ihr Plan ging auf, die Rosalia D'Amato wurde geentert. Jetzt liegt sie hier, und mit ihr die 21 Mann starke Crew des Schiffes, sechs Italiener und 15 Philippinos. Für die Soldaten ist ein solcher Anblick Routine, Teil des Berufs. Und doch „beschäftigt die Soldaten das, was sie hier sehen“, sagt Krey. „Wir sprechen mit der Crew über die Einsätze, auch, um das alles zu verarbeiten.“ Denn im schlimmsten Fall, etwa wenn ein Schiff geentert wird, kann die Mannschaft der Orion alles beobachten, aber nichts tun.

Wobei Krey das nicht ganz gelten lassen will. Die Infos der Orion können Leben retten – wenn ein zur Rettung eilendes Sonderkommando von den Deutschen zum Beispiel erfährt, wo sich die Piraten an Bord eines gekaperten Schiffes aufhalten. Und auch die exakte Positionsbestimmung  eines gekaperten Schiffes ist wichtig – und das nicht nur fürs Militär. „Die Reederei und die Familien wissen dann wenigstens, wo ihre Seeleute und Angehörigen festgehalten werden“, sagt Krey.

Die Kamera der Orion zoomt noch näher an einen Frachter heran. Rauch steigt aus dem Schlot des Schiffes empor. Am Heck ist eine somalische Dhau mit dem Frachter vertaut. Ein noch kleineres Boot fährt ins Bild und geht längsseits des somalischen Schiffes. Bringt es Vorräte an Bord? „All die Schiffe hier“, sagt Kapitän Krey, „müssen versorgt werden – die Geiseln wie die Geiselnehmer.“ Und all die Lebensmittel, das Trinkwasser und der Treibstoff müssen erst einmal mühselig herbeigeschafft werden.

Krey stellt eine kleine Rechnung auf: 12 Schiffe mit vielleicht 20 Geiseln im Schnitt plus ihre Bewacher zuzüglich all der Menschen, die an Land für den Unterhalt der gekaperten Schiffe sorgen. Es müssen Hunderte von Menschen sein, die mit diesen gekaperten Schiffen beschäftigt sind – die 53 Männer und Frauen, die die deutsche P-3 Orion warten und bedienen, nicht mitgerechnet. „Der logistische Aufwand ist enorm“, sagt Krey über die Piraten und es ist klar, was er damit meint. Das hier ist keine Aufgabe mehr für ein paar Fischer, die nebenbei mal einen Frachter entern. Das ist eine Aufgabe für Profis mit einem hohen Organisationsgrad. Im Sand, unweit der Küste, sind vieleReifenspuren zu sehen.

Die Orion neigt sich nach links, noch eine Kurve. Die Kamera gleitet ganz dicht über das Deck eines anderen Schiffes hinweg. Es ist rostrot. Leitungen sind zu sehen – und zwei Männer - ameisengroß, aber deutlich sichtbar - die langsam von der Brücke Richtung Reling gehen. Piraten? Wahrscheinlich ja.

Ein Aufklärungsflug im Golf von Aden

Der Aufklärer dreht ab Richtung Festland. Unweit des Ufers sind schwarze Punkte im Wüstensand zu sehen, Behausungen der Piraten. Der Blick durch die Linse zeigt aus nächster Nähe ein Camp, Zelte und befestigte Häuser mit niedrigen Mauern. Fast schon ein kleines Dorf. Vor einem Hauseingang wird gekehrt. „Die Piraten haben inzwischen auch hre Familien hergebracht“, sagt ein Hauptbootsmann, der das Treiben am Boden beobachtet – bis ein großer Lastwagen seine Aufmerksamkeit erregt.

Der Anhänger ist über und über beladen mit großen Fässern. Menschen strömen herbei, laden ab. Neuer Treibstoff für die Piraten ist angekommen. Eine wichtige Information für die Militärs, möglicherweise wollen die Piraten bald wieder in See stechen. „Vor zwei Jahren“, sagt Kapitän Krey und zeigt auf den Truck, „war dieser Lkw kleiner.“ Auch die großen SUVs, die da unten in der Sonne blitzen, sind neu. Symbole des Erfolges der Piraten.

„Nach meiner persönlichen Einschätzung hat sich das Material der Piraten sehr verändert“, sagt Krey. Und das macht der Kapitän nicht nur an SUVs und Lastwagen fest. Früher hätten die Piraten noch unter ihren umgedrehten Booten am Strand geschlafen – heute sind es gut befestigte Zelte und Häuser. Die weißen Boote liegen aus Schutz vor Sonne und Wind umgekippt am Strand. „Weitere Ausrüstung erhalten die Piraten natürlich auch von Bord der gekaperten Schiffe“, sagt Krey. Und offenbar nicht nur von dort. Satellitentelefone zählen inzwischen zu den bevorzugten Kommunikationsmitteln, wie etwa die Offiziere von der „Vasco da Gama“ erzählen. Großer Vorteil: Im Gegensatz zum Funk sind die Telefone zumindest hier im Golf von Aden abhörsicher.

Die Orion fliegt weiter – zum nächsten Piratencamp. Die Militärs haben einige von ihnen ausfindig gemacht. „Aber die Küste Somalias ist lang – von Mogadischu bis Djibouti sind es 1300 nautische Meilen“, sagt Krey. „Das ist ungefähr die Entfernung von Flensburg nach Venedig.“ Es gibt also noch genug andere Küstenabschnitte, wo weitere Piratencamps liegen könnten, und zwar völlig unbemerkt von den Seeaufklärern, die hier vorbeischauen und nicht alles im Blick haben können.

Die Informationen, die die „P-3C“ mit ihren Kameras und Sensoren sammelt, fließen alle in das große Lagebild der EUNAVOR ein. Ein Versuch, einen Überblick zu behalten von einem Seegebiet, das so groß ist wie das Mittelmeer. Selbst die größten Kriegsschiffe schrumpfen in diesen Weiten des Meeres auf Stecknadelkopfgröße. Ohne Luftaufklärung geht es nicht.

Doch derzeit sind etwa für die Operation Atalanta nur drei Maschinen im Einsatz: eine deutsche und eine spanische Orion P-3 von Djibouti aus und eine Merlin Fairchild SW3 der luxemburgischen Luftwaffe, die auf den Seychellen stationiert ist. Als Unterstützung kommen noch Flugzeuge Singapurs, Japans und der Amerikaner hinzu, die allerdings nicht dem Kommando der EU unterstellt sind.

Später, auf dem Rückflug, überquert die Orion nochmals die 12 Schiffe, die vor dem Piratencamp vor Anker liegen. Ganz am Rand, weiter draußen auf See, ist noch ein Schiff zu erkennen. Mit seinen grauen Aufbauten unterscheidet es sich deutlich von den Frachtern. Ein Kriegsschiff, die „USS Bainbridge“. Angeblich soll eine Lösegeldübergabe anstehen. Eines der gekaperten Schiffe wird wohl freikommen und dann von dem amerikanischen Zerstörer Geleit erhalten. Zurück bleiben elf Schiffe mit Geiseln an Bord, gefangen von Piraten vor der Ostküste Somalias.

Flug über Somalia