ReportagePiratenjagd am Horn von Afrika

Mehr als 20 Schiffe und über 500 Menschen sind am Horn von Afrika in der Gewalt von Piraten. Handelsblatt Online begleitete die portugiesische Fregatte „Vasco da Gama“ Mitte April zehn Tage lang auf ihrer Jagd nach somalischen Piraten. Und mit einem Seeaufklärer der deutschen Marine  flog Reporter Florian Brückner über die Ostküste Somalias - über Camps und gekaperte Schiffe der Piraten.

Tag 09 – Die Faust der Vasco da Gama

Das Bild der Helmkamera wackelt. Eine schwarze Hand greift an Deck, hält sich fest. Ein Ruck, dann ist der Marine in voller Kampfausrüstung an Bord. Die Maschinenpistole schwenkt kurz ins Bild. Blick nach vorn: Mehrere Männer stehen am Bug der Dhau. Freund oder Feind?

„Die ersten Minuten sind immer die schwierigsten – denn da ist der erste Mann ganz auf sich allein gestellt“, wird Korporal Fernando Lages später, als alles vorbei ist, auf dem Oberdeck der „NRP Vasco da Gama“ sagen.

Die schwarzen Uniformen, die Masken und Helme haben Lages und seine neun Kameraden da längst wieder ausgezogen. Stunden zuvor waren sie an Bord einer somalischen Dhau gegangen. Routinekontrolle.

Doch auch wenn die Kameraden nur wenige Meter entfernt in einem Schlauchboot warten und ein Scharfschütze auf der „Vasco da Gama“ Feuerschutz gibt, bleibt die Situation angespannt. „Wenn man an Bord eines fremden Schiffes klettert, spürt man das Adrenalin“, sagt Lages. Er spricht ganz ruhig, mit leiser Stimme. „Das Herz schlägt bis zum Hals“, sagt er dann plötzlich, lächelt kurz und schlägt sich mit der Faust auf die Brust. „Mit Angst hat das nicht unbedingt etwas zu tun, es ist eher eine natürliche Aufregung.“

Seit fünf Jahren ist Lages ein Fuzileiro, ein Marineinfanterist mit der Spezialisierung auf Enteraktionen. In der Zeit, in der die „Vasco da Gama“ nun auf See ist, kamen Lages und seine Kameraden zweimal zum Einsatz – die Fehlalarme nicht mitgerechnet. Ihr Logo: Taz, der tasmanische Teufel aus der Zeickentrickserie Looney Tunes. Ohne ihre „Teufel“ wäre die „Vasco da Gama“ gar nicht einsatzfähig.

„Die Fuzileiros sind so etwas wie die Faust, die Hand dieses Schiffes“, sagt Korvettenkapitän João Piedade. Die Soldaten unterstehen seinem Kommando. Ohne die Marine-Infanteristen könnte die Fregatte kaum verdächtige Schiffe im Golf von Aden überprüfen. „Das wäre für die eigentliche Besatzung des Schiffes zu gefährlich“, sagt Piedade. Denn nicht immer gehen Einsätze so glimpflich aus wie heute. Die verdächtige Dhau hatte nur Fisch an Bord. Die Ölfässer – mit denen Piraten auf hoher See gerne ihre Beiboote betanken – waren leer. Ein, zwei  Fischer winken den Marines hinterher, als sich diese auf den Weg zurück machen.

Doch es hätte auch anders kommen können. So wie bei den Dänen. Beim Versuch vor der Küste Somalias an Bord einer verdächtigen Dhau zu gehen, wird ein Kommando des dänischen Unterstützungsschiffes HDMS Esbern Snare beschossen. Bei dem anschließenden Feuergefecht sollen mehrere Piraten verletzt worden sein – einige sogar getötet.

Faust und Auge der Fregatte

Korporal Lages kennt die Gefahren, aber „in dem Moment, wenn wir mit unseren beiden Booten auf ein Schiff zufahren, gehen in der Regel die Hände der Besatzung hoch.“ So war es auch heute. „Die meisten wollen jede Aggression vermeiden und bloß keinen Fehler machen.“ Die Präsenz der Fuzileiros ist massiv, die Waffen, die Masken schüchtern ein. Bis jetzt, so Lages, sei bei einer Entermission der Fuzileiros noch kein Schuss gefallen. Keine Verletzten, keine Toten. Die Dänen hatten weniger Glück.

„Aber Einsätze wie diese sind unumgänglich und letztlich wie eine Polizeikontrolle auf der Straße“, sagt Piedade. Der Vergleich ist schwierig. Piedade weiß das. Aber die Missionen seien letztlich Alltag – für die Militärs genauso wie für die Zivilisten im Golf von Aden. „Dass wir dabei immer unsere militärische Stärke demonstrieren, dient letztlich der Abschreckung – und damit dem Schutz aller Beteiligten.“ So sieht das der Militär.

„Es ist eine schwierige Balance, die wir hier draußen im Golf von Aden zu wahren versuchen“, sagt Piedade. Auf der einen Seite die Sicherheit der Soldaten, auf der anderen die Einschüchterung Unschuldiger. Vor Piedade haben Korporal Lages und seine Kameraden ihre Ausrüstung aufgestellt: Maschinenpistolen, Scharfschützengewehr, Schrotflinten, Schutzwesten und Helme – nicht zu vergessen Schwimmwesten, Taschenlampen, Helmkameras und einiges mehr. 30 bis 40 Kilo schwer ist die Ausrüstung im Einsatz. Bei einer Lufttemperatur von 34 Grad wird damit selbst das Training auf dem Helikopterdeck zur Qual.

Genauso wichtig wie die Fuzileiros ist Team Bacardi, der Helikopter der Fregatte. Wenn die Tasmanischen Teufel die Faust der Vasco da Gama sind, ist Bacardi das fliegende Auge des Kriegsschiffes. Ohne den Helikopter mit der schwarz-gelben Fledermaus auf dem Rumpf wären die Marines gar nicht erst an Bord der kleinen Dhau gegangen – weil die „Vasco da Gama“ allein das kleine Boot vielleicht gar nicht erst entdeckt hätte. „Der Helikopter ist unsere entscheidende Stärke hier draußen“, sagt Piedade, „weil er unseren Einsatzradius bedeutend erweitert.“

Jeden Morgen bricht „Bacardi“, der graue Super Lynx MK 95, zu Patroullienflügen auf, bei denen die dreiköpfige Crew 160 Seemeilen weit in einer Höhe von etwa 700 Fuß übers Meer fliegt. Hauptaufgabe: Schiffe kontrollieren, Fischer von Piraten unterscheiden - etwa daran, ob Leitern an Bord sind und wie sich die Besatzung verhält. Piraten winken nicht, sondern glänzen mit gespieltem Desinteresse, so die Piloten. Ein Indiz, mehr nicht.

Unter den diesigen Sichtbedingungen im Golf von Aden können die Soldaten eines der kleinen Boote aus einer Entfernung von acht bis zehn Seemeilen ausmachen. Letztlich müssen im Zweifel doch die Fuzileiros an Bord gehen - entweder per Schlauchboot, oder mit „Bacardi“.

Die Marines der Vasco da Gama