ReportagePiratenjagd am Horn von Afrika

Mehr als 20 Schiffe und über 500 Menschen sind am Horn von Afrika in der Gewalt von Piraten. Handelsblatt Online begleitete die portugiesische Fregatte „Vasco da Gama“ Mitte April zehn Tage lang auf ihrer Jagd nach somalischen Piraten. Und mit einem Seeaufklärer der deutschen Marine flog Reporter Florian Brückner über die Ostküste Somalias - über Camps und gekaperte Schiffe der Piraten.

Tag 10 – Die Sorgen des Kommodore

Als Alberto Correia die „FNS Pohjanmaa“ nach dem Einlaufen in den Hafen von Djibouti zu Gesicht bekommt, ist eine der dringlichsten Sorgen des Kommodore verschwunden. Nur ein großes Zeltdach in beigebraunen Tarnfarben am Heck des Minenlegers erinnert noch an die Piraten. Zumindest sind sich einige Offiziere der „NRP Vasco da Gama“ sicher, dass die Finnen dort unter der Zeltplane die Somalis festhielten. Offiziell gibt es dazu keinen Kommentar. Aber: Wo sonst? Die gut 78 Meter lange „Pohjanmaa“ ist ein gutes Stück kleiner als die portugiesische Fregatte. Und beide sind keine Kreuzfahrer. Platz ist Mangelware.

Vor gut zwei Wochen hatte die finnische „Pohjanmaa“ eine verdächtige somalische Dhau mit zwei Beibooten aufgebracht. 250 Seemeilen südöstlich der omanischen Hafenstadt Salalah. Die Besatzung hatte noch hektisch im Angesicht des nahenden Kriegsschiffes versucht, Waffen und Ausrüstung über Bord zu werfen - aber zu spät. Die Finnen stoppten das Schiff und nahmen die Crew in Gewahrsam, alle 18 Mann. Die Besatzung der „Pohjanmaa“ ebenso wie die Verantwortlichen der EUNAVFOR waren sich sicher: Wir haben echte Piraten geschnappt.

„Wir sind angesichts der Beweislage von der Schuld der Gefangenen überzeugt“, hatte Correia vor Tagen noch mit bestimmter Sicherheit mitten im Golf von Aden gesagt. In Somalia selbst gibt es allerdings kein Gericht, das die Piraten verurteilen könnte. Genau deshalb hatte die EU mit Kenia und den Seychellen Justizabkommen abgeschlossen, um Piraten dort verurteilen und bestrafen zu lassen. Aber Kenia hat das Abkommen im vergangenen Jahr gekündigt. Seit Monaten wird verhandelt, bis zum Abschluss nimmt Kenia nur noch im Einzelfall gefangene Piraten auf. Und die Kapazitäten der kleinen Inselrepublik Seychellen  sind sehr begrenzt.

„Die Europäische Union unternimmt große Anstrengungen in der Region. Aber in Somalia ist es unter den gegenwärtigen Bedingungen sehr schwierig eine wirksame Gerichtsbarkeit oder eine effiziente Küstenwache aufzubauen“, sagt Correia. „Jetzt warten wir darauf, dass irgendein Land, vielleicht das des Schiffseigners oder der Flaggenstaat, sich der Piraten annimmt.“ Aber dies, so Correia seinerzeit weiter, sei gar nicht so einfach. Er hatte recht - und das gilt selbst für die 738 Piraten, die etwa in Kenia bereits im Gefängnis sitzen und von denen viele immer noch auf eine Gerichtsverhandlung warten.

Über den Fang der Piraten kann sich der Kommodore heute, hier in Djibouti, nicht mehr freuen. Als das finnische Schiff unter den Blicken des portugiesischen Oberkommandierenden der Operation Atalanta längsseits der „Vasco da Gama“ festmacht, sind die Piraten längst frei.

Zwei Wochen lang waren die Männer an Bord der „Pohjanmaa“. Zwei Wochen lang war nach einem Land gesucht worden, das den Piraten einen faires Gerichtsprozess machen würde. Zuletzt war Singapur im Gespräch, doch das zerschlug sich wieder - dort hätte den Piraten unter Umständen die Todesstrafe gedroht. Unvereinbar mit der europäischen Rechtslage - von moralischen Bedenken ganz zu schweigen.

Kein Land wollte die Piraten aufnehmen: Finnland genausowenig wie Deutschland, Portugal oder irgendein anderes europäisches Land. Die Suche war aussichtslos, wohl schon von Anfang an. Noch bevor die „Vasco da Gama“ in See gestochen war, hatte der spanische Konteradmiral Juan Rodriguez, vier Monate lang Oberkommandierender der Operation Atalanta, in der Kapitänskajüte des portugiesischen Schiffes den Einsatz der EU gelobt. Nur: „Bedauerlicherweise müssen wir in mehr als 80 Prozent der Fälle die gefangenen Piraten wieder freilassen.“

Laut einem Bericht der Vereinten Nationen kommen gar neun von zehn mutmaßlichen Piraten wieder auf freien Fuß. Alle 51 Piraten, die von der EU-Operation Atalanta von Mitte August bis Mitte Dezember in Gewahrsam genommen wurden, seien alle sofort wieder freigelassen worden. Jack Lang, Sondergesandter von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon spricht davon, dass es inzwischen gängige Praxis vieler Kriegsschiffe sei, die Ausrüstung gefasster Piraten zu zerstören, die Verdächtigen selbst aber wieder in die Freiheit zu entlassen.     

So gesehen ist es kein Wunder, dass Kommodore Correia nie gute Nachrichten für die „Pohjanmma“ hatte, die  auf engstem Raum mit 18 Gefangenen durch den Golf von Aden kreuzte. Und die Hygiene, die Versorgung mit Wasser und Lebensmitteln an Bord war in dieser Zeit nicht die einzige Sorge von Kapitän Mika Raunu.

Die Stimmung unter den festgesetzten Piraten war schlecht - und brach sich Bahn in Gewalt. „Die größte Herausforderung für uns war, dass die Piraten aufeinander losgingen“, sagt Raunu in der Rückschau, die Kaimauern Djiboutis und die nahende Heimreise vor Augen.  „Wir haben dann immer wieder versucht, die einzelnen Streitstifter zu isolieren.“ Und dann war da noch die Befürchtung, dass sich die Gefangenen selbst das Leben nehmen könnten. Die Bewachung von Piraten ähnelte mehr den Aufgaben eines Polizisten als denen eines Soldaten.

Raunu hat damit gerechnet, sagt er. Längst hat der Kapitän seine neue Rolle als Soldat und Polizist verinnerlicht. Folgerichtig gehören auch ausgebildete Polizisten zu seiner Crew, die im Umgang mit gefangenen Kriminellen trainiert sind. „Menschen in Gewahrsam zu behalten, ist eine schwere Aufgabe“, sagt Raunu. Vor allem an Bord eines Kriegsschiffes im Einsatz. Ein neues Problem für den finnischen Kapitän.

„Die Piraten waren in einem sehr schlechten körperlichen Zustand“, sagt Raunu. Die Dhau der Somalis sei mit  geschätzt 1000 Kilogramm Fisch beladen gewesen - der seit Tagen in der Sonne vor sich hin verrottete. Es war ein Bild der Verwesung aus sich bewegender Fisch-Haufen, das sich den Finnen bot. „Überall an Bord waren Insekten“, sagt der Kapitän.

Die Gefangenen mussten sich waschen, wurden neu eingekleidet und medizinisch untersucht. Letztlich machte sich Raunu mehr Sorgen um die eigene Mannschaft als um die Piraten: Drei Tage lang war sein Schiff mit der Dhau vertäut, zur Beweissicherung musste das lecke Boot mit all seinem Fisch, Insekten und Unrat an Bord von seiner Mannschaft durchsucht werden. „Der Gestank war fürchterlich.“ Dass die Dhau letztlich in einem großen Feuerball in die Luft flog, hatte wohl nicht nur damit zu tun, dass den Piraten ein weiteres Schiff abgenommen werden sollte. Alles in allem war „es eine herausfordernde Situation für die Crew“, sagt Raunu, wohl wissend, dass letztlich alle Strapazen nicht von Erfolg gekrönt waren.

Nach 15 Tagen auf See lag die „Pohjanmaa“ vor der Küste Somalias - und Raunu beobachtete durch ein Fernglas, wie die 18 Piraten als freie Männer wieder an Land gingen. Die zwei einstigen Beiboote waren von den finnischen Soldaten vorher sogar noch mit kleinen Außenbordmotoren ausgerüstet worden - damit die Piraten auch ja wieder somalischen Boden erreichen würden.

Die Vorsicht der finnischen Soldaten kann João Folgado Bargado an Bord der „Vasco da Gama“ sehr gut nachvollziehen. „Die Sicherheit der mutmaßlichen Piraten muss unter allen Umständen gewährleistet sein“, sagt der erste Offizier. Einfach so irgendwo an der Küste könnten Piraten zum Beispiel nicht ausgesetzt werden. „Am Ende landen die Somalis noch in einem feindlichen Clan-Gebiet, wo sie getötet werden“, sagt Bargado, der das Schicksal der „Pohjanmaa“ aufmerksam verfolgt hat.

Die Gefangenen der Pohjanmaa sind alle sicher in Somalia gelandet. Für die Piraten Grund zur Freude, für die Crew der „Pohjanmaa“ nicht unbedingt. „Das war für die Mannschaft natürlich ein sehr enttäuschendes Erlebnis“, sagt Raunu. Natürlich habe es Diskussionen an Bord gegeben. „Es ist aus der Perspektive finnischer Staatsbürger nicht leicht zu verstehen, dass mutmaßliche Kriminelle ungestraft ohne Gerichtsurteil wieder auf freien Fuß kommen“, sagt der Kapitän. Kommodore Correia kann das sehr gut nachvollziehen. Und es belastet ihn. „Es gibt nichts Schlimmeres als Piraten zu fangen, nur um sie dann später wieder freilassen zu müssen“, sagt Correia bitter. „Das gibt den Piraten letztlich das Gefühl, ungestraft davon kommen zu können“, sagt er. „Das ist nicht hilfreich, um das Piratenproblem zu lösen.“

So sehen das auch die Vereinten Nationen. Die Praxis, gefangene Piraten wieder freizulassen, habe das Risiko für die Piraten minimiert und die Piraterie regelrecht beflügelt. In Somalia gelte diese Form der Kriminalität als „fast schon idiotensicherer Weg, schnell reich zu werden“, wie es in dem Bericht des Sondergesandten Lang heißt.

Im Hafen von Djibouti ist der Mannschaft der „Pohjanmaa“ von dem Piraten-Zwischenfall auf dem ersten Blick nichts anzumerken. Die sonnengebräunten Männer und Frauen haben ihr Schiff mit der „Vasco da Gama“ vertäut.  Portugiesen und Finnen beäugen sich neugierig, die ersten Gespräche kommen in Gang. Von Soldat zu Soldat, von Seemann zu Seemann. Auf der „Vasco da Gama“ waren die finnischen Kameraden und ihre Piraten-Odyssee im Golf von Aden schon länger Gesprächsthema. Erst recht in der Führungsspitze.

Kapitän José Diogo Arroteia gibt sich erst einmal zuversichtlich: „Wir sind zu einhundert Prozent darauf vorbereitet, im Falle des Falles bis zu 30 mutmaßliche Piraten an Bord zu nehmen.“ An einen sicheren Aufenthaltsraum etwa unter dem Helideck hat Diogo Arroteia genauso gedacht wie an Wasser und Lebensmittel. Aber was hilft das, wenn am Ende festgenommene Piraten wieder freigelassen werden müssen? Kein militärisches, ein politisches Problem - das inzwischen auch die Vereinten Nationen beschäftigt.

Weit entfernt von der „Vasco da Gama“ , den Sorgen des Kommodores und den Erlebnissen von Kapitän Raunu ist die Piraterie in New York oben auf der Tagesordnung von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon gelandet. Bereits im Februar hatte Ban die Piratenproblematik vor der Küste Somalias als „völlig unakzeptabel bezeichnet“ und eine „koordinierte und gemeinsame Antwort“ der Völkergemeinschaft darauf gefordert. Die Reaktion folgte wenige Monate später.

Mitte April sprach sich der Sicherheitsrat einstimmig  für die Schaffung neuer Gesetze, spezieller Gerichte und Gefängnisse aus,um der Piraterie zu begegnen. „Die sich immer weiter verschlechternde Lage zwingt die internationale Gemeinschaft dazu, neue Maßnahmen im Kampf gegen die Piraterie zu ergreifen“, sagte etwa der russische UN-Botschafter Vitaly Churkin. In den kommenden Monaten soll Ban Ki-moon nun dem Sicherheitsrat mitteilen, wie ein exterritorialer Anti-Piraterie-Gerichtshof für Somalia aussehen könnte. Dieser würde dann möglicherweise in Tansania oder innerhalb Somalias in den halbautonomen Gebieten Somaliland und Puntland aufgebaut werden.

So fern und theoretisch diese Pläne im Moment auch noch sein mögen, sie stoßen bei Kommodore Correia auf Zustimmung. „Das könnte ein erster Schritt für den Aufbau eines internationalen Gerichtshofes sein. Und dieser wäre meiner Meinung nach von entscheidender Bedeutung“, urteilt Correia.  Den 18 Piraten, die die finnische „Pohjanmaa“ gefangen genommen hatte, kann das erst einmal egal sein. Sie sind frei. Und da sich an der Küste Somalias leicht jemand findet, der ihnen wieder eine AK-47 in die Hand drückt und ein Boot zur Verfügung stellt, sind sie wohlauch bald wieder auf See.

„Letztlich kann das Piraterie-Problem nicht auf dem Meer gelöst werden“, sagt Kommodore Correia. Solange es keine Lösung für Somalia gebe, werde das Problem bestehen bleiben. Das sei wiederum eine Aufgabe der Politik und nicht des Militärs.  „Die internationale Gemeinschaft unternimmt einige Anstrengungen, um Somalia wieder auf den Weg einer geordneten Zivilgeselschaft zu bringen - aber das ist vielleicht immer noch nicht genug“, sagt Correia nachdenklich.

Das Auge der Vasco da Gama