Mit Teilchenschleudern gegen Krebszellen

Erst als Wissenschaftler, dann als Unternehmer hat sich der Belgier Yves Jongen dem Kampf gegen den Krebs verschrieben. Dank seiner Erfindung können Tumore im Körper heute millimetergenau bekämpft werden.

Jongen
von Ulrich Kraft

Mehr als 96.000 Krebspatienten wurden bislang mit der Protonentherapie behandelt, für die Yves Jongen die technologischen Grundlagen schuf.

Düsseldorf. Schon als Yves Jongen Mitte der 1970er Jahre begann, sich mit der Protonentherapie zu beschäftigen, war ihm klar: Das ist die Zukunft der Krebsbehandlung. Eine Technik, die es ermöglicht, bösartige Tumoren zielgenau zu bestrahlen und auf diese Weise zu zerstören. Und zwar so zielgenau, dass das umliegende gesunde Gewebe von der schädigenden Strahlenwirkung verschont bleibt.

Heute, fast 40 Jahre später, ist diese Zukunft Wirklichkeit. Mittlerweile wurden weltweit über 96.000 Patienten mit der Protonentherapie behandelt. Rund um den Globus entstehen neue Zentren, damit künftig noch mehr Menschen von diesem präzisen Behandlungsansatz bei Tumorleiden profitieren können.

Yves Jongen hat daran maßgeblichen Anteil. Bereits als Direktor des Zyklotron-Forschungszentrums der katholischen Universität von Louvain in Belgien trieb der Ingenieur die Entwicklung jener  Teilchenbeschleuniger voran, mit denen sich Protonen erzeugen lassen.

Mit seiner 1986 gegründeten Firma Ion Beam Applications gelang es ihm dann, sein großes Ziel zu verwirklichen: Ein Protonentherapie-System, speziell gebaut für den Einsatz in Kliniken und Krankenhäusern. Unter Jongens Ägide entwickelte das Unternehmen eine kompakte und kostengünstige Ausführung des als Zyklotron bezeichneten Protonenerzeugers.

Als Forscher und Unternehmer hat der 65-Jährige so die Protonentherapie technologisch entscheidend voran gebracht und die Voraussetzungen geschaffen, dass diese viel versprechende, moderne Behandlungsmethode bei Krebserkrankungen einer wachsenden Zahl von Patienten zugänglich gemacht werden kann. Eine bahnbrechende Pionierarbeit, die Yves Jongen jetzt die Nominierung für den Europäischen Erfinderpreis 2013 einbrachte.

Heute nutzen über die Hälfte aller Protonentherapie-Einrichtungen Technologie von Jongens Firma Ion Beam Applications (IBA).
Heute nutzen über die Hälfte aller Protonentherapie-Einrichtungen Technologie von Jongens Firma Ion Beam Applications (IBA).

Millionen Menschen leiden weltweit an Krebs. Und es werden künftig noch mehr werden – da sind sich die Experten einig. Im Kampf gegen diese globale Pandemie gehört die Strahlentherapie zu den wichtigsten Waffen. 50 bis 60 Prozent aller Krebspatienten werden im Laufe ihrer Erkrankung damit behandelt.

Das Prinzip ist schon lange bekannt. Energiereiche ionisierende Strahlen wie die Röntgenstrahlung bewirken den Untergang von Zellen, in dem sie die DNA im Zellkern zerstören. So hemmen sie die Vermehrung von Krebszellen und bringen diese zum Absterben. Das Problem: Röntgenstrahlen durchdringen den gesamten Körper. Ihre Energie baut sich dabei exponentiell ab. Deshalb muss die Eintrittsdosis entsprechend hoch gewählt werden. All das führt dazu, dass die Strahlung auf ihrem Weg zum Tumor und von dort weiter durch den Körper hindurch auch gesundes Gewebe schädigt.

Protonen hingegen geben den Großteil ihrer Energie erst auf den letzten Millimetern ihrer Flugbahn ab, ein Phänomen, das Bragg’s Peak genannt wird. Wo im Körper die Flugbahn eines Protons endet, hängt von seiner Ausgangsenergie ab. Das macht diese ihrer Elektronen beraubten Wasserstoffatome therapeutisch so interessant. Denn über die Regulation der Energieintensität lässt millimetergenau steuern, in welcher Körpertiefe ein Protonenstrahl seine maximale zerstörerische Wirkung entfaltet.

Auf den Tumor fokussiert

„Man kann die Bestrahlung auf den Tumor fokussieren – und dass ist ein großer Vorteil“, erläutert Yves Jongen. Studien zeigen, dass die Strahlenbelastung bei der Protonentherapie 70 Prozent niedriger ist als bei einer konventionellen Strahlenbehandlung.

Ein gewisses Interesse für die Thematik wurde Jongen, der in Nivelles, einer kleinen Stadt in Wallonien aufwuchs, bereits in die Wiege gelegt. Sein Vater arbeitet als Radiologe. Und auch der Ingenieur in ihm erwachte früh, bei einem Hobby, dem er heute noch nachgeht: ferngesteuerte Boot und Flugzeuge.

Weil der damals zehn Jahre alte Yves sich keine kommerzielle Ausrüstung leisten konnte, baute er sich die Fernsteuerungen selbst, in seiner eigenen kleinen Werkstatt im Keller. Später bot er seinem Vater an, dessen Röntgen-Equipment in Stand zu halten, für die Hälfte des Geldes, das die Wartungsfirma verlangte. Der Papa nahm an, und Yves Jongens Faszination für medizinische Anwendungen von Elektronik war endgültig erwacht.

„So lange ich es kann, werde ich weiter mit den großartigen IBA-Teams arbeiten“: Yves Jongen
„So lange ich es kann, werde ich weiter mit den großartigen IBA-Teams arbeiten“: Yves Jongen 

Neben dem Studium als Elektroingenieur machte er an der Katholischen Universität von Louvain noch einen Abschluss in Nuklearwissenschaft. Als Jongen dort Anfang der 1970er Jahre Direktor des Zyklotron-Forschungszentrums wurde, hatten erste Studien über Protonen in der Krebstherapie bereits viel versprechende Ergebnisse geliefert. Insbesondere bei Tumoren an Auge, Gehirn und Rückenmark, wo es besonders wichtig ist, das gesunde Gewebe zu schonen. Doch die erforderlichen Teilchenbeschleuniger kosteten mehrere Hundert Millionen Euro, nahmen turnhallengroße Räume ein und waren deshalb nur an einigen wenigen Forschungseinrichtungen der Welt verfügbar.

Um für die medizinische Praxis tauglich zu sein, mussten die Geräte weniger komplex, kleiner und billiger werden. Und so machte sich Jongen ans Werk, die Technologie und das Design der Zyklotronen Schritt für Schritt zu verbessern. In einem Zyklotron werden geladene Teilchen auf einer spiralähnlichen Bahn beschleunigt, mit Hilfe eines Magnetfeldes. Gut 200 wissenschaftliche Veröffentlichungen und eine ganze Reihe von Patenten über die Beschleunigungstechnik und deren Einsatzbereiche gingen in den Jahren an der Uni auf das Konto von Yves Jongen.

1994 kam der Durchbruch

Mitte der 80er Jahre wurde der Forscher dann zum Unternehmer. Er gründete die Firma Ion Beam Applications (IBA). „Als wir den Leuten damals gesagt haben, dass wir basierend auf dem Zyklotron Protonentherapie-Systeme entwickeln, die sich industriell fertigen und in Krankenhäusern installieren lassen, hat man uns für verrückt gehalten“, erinnert sich Jongen. Doch 1994 kam der erste große Durchbruch. Das Massachusetts General Hospital bestellte bei IBA ein Zyklotron.

Heute nutzen über die Hälfte aller Protonentherapie-Einrichtungen IBA-Technologie. Damit ist das Unternehmen weltweiter Marktführer. Ein Ergebnis konstanter Innovation. 326 Patente hält International Beam Applications bis heute. Der jüngste Wurf von Yves Jongen und seinem Team heißt Proteus One, ein besonders kompaktes und kostengünstiges Ein-Zimmer-Behandlungssystem. Der Preis von 24 Millionen Euro macht es für viele Krebs-Zentren zu einer erschwinglichen Option. Und bringt Jongen seinem Lebensziel, mehr Menschen den Zugang zu dieser innovativen Methode zu ermöglichen, wieder ein Stück näher.

Weniger als ein Prozent der Krebspatienten werden aktuell mit Protonen behandelt. 15 bis 30 Prozent könnten aber von der Protonentherapie profitieren, wenn sie leichter verfügbar und weniger teuer wäre, sagt der 65-Jährige. „Mit meinen Kollegen bei IBA arbeite ich daran, dass dies Wirklichkeit wird.“

Auch deshalb denkt Yves Jongen trotz aller Verdienste und Ehrungen noch längst nicht an den Ruhestand. Zwar will der Leiter der Forschungsabteilung künftig ein wenig kürzer treten, auch um mehr Raum für seine fünf Kinder, seine drei Enkelkinder und sein zweites Hobby – die Astronomie – zu haben. „So lange ich es kann, werde ich aber weiter einen Teil meiner Zeit damit verbringen, mit den großartigen IBA-Teams zu arbeiten.“ 

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