„Man kann nicht immer nur nehmen“

Der Schweizer Physiker Martin Schadt erhielt den Europäischen Erfinderpreis in der Kategorie Lebenswerk. Handelsblatt Online sprach mit ihm am Rande der Preisverleihung.

Schadt
von Thomas Trösch

"Nur auf einem einzelnen, fest eingefahrenen Gebiet zu arbeiten – das war mir schon immer zu langweilig, ich wollte interdisziplinär arbeiten."

Im Laufe seiner Karriere hat Martin Schadt mehr als 110 Patente und 174 wissenschaftliche Paper publiziert.
Martin Schadt: „Mit diesem Preis wird nun auch in Europa gezeigt, dass Europäer gute Arbeit machen“.
Quelle: PR

Für seine Entwicklung der Flüssigkristall-Technologie, die millionenfach in den Displays moderner Mobilgeräte und LCD-Fernseher zum Einsatz kommt, ist der Schweizer Physiker Martin Schadt mit dem Europäischen Erfinderpreis in der Kategorie Lebenswerk ausgezeichnet worden.

Handelsblatt Online: Was bedeutet Ihnen dieser Preis?

Martin Schadt: Ich bin natürlich sehr stolz. Die meisten Preise, die ich bisher erhalten habe, stammten aus Nordamerika. Umso mehr freut es mich, dass mit diesem Preis nun auch hier in Europa gezeigt wird, dass Europäer gute Arbeit machen.

Fakt ist aber, dass bei der industriellen Umsetzung Ihrer Forschung eigentlich  Japan das Maß aller Dinge ist.

In der Tat begegneten viele Kollegen meinem Forschungsgebiet lange  mit extremer Skepsis. Organische Materialien in elektronischen Bauteilen – das war für viele Ingenieure undenkbar.  Das Vorurteil lautete: Organische Materialien sind instabil. Das stimmt auch, wenn man die falschen Moleküle nimmt – aber das stimmt natürlich nicht generell. Die Japaner haben das am schnellsten erkannt.

In Europa und den USA hat man dagegen  lange gezögert, und so sind viele technologische Entdeckungen, die auch hierzulande hätten gemacht werden können, unterblieben. Später hieß es dann immer: Ja, die Japaner können das eben besser.

Wie sind Sie zu einem seinerzeit noch so exotischen Forschungsgebiet gekommen?

Nur auf einem einzelnen, fest eingefahrenen Gebiet zu arbeiten – das war mir schon immer zu langweilig, ich wollte interdisziplinär arbeiten. Und diese Chance bot sich mir, als Roche die Flüssigkristall-Technologie intensiver erforschen wollte. Ich konnte dort sehr frei forschen und fand es als Physiker faszinierend, mit Chemikern zusammen Materialentwicklung machen zu können.

Wie viel Martin Schadt steckt noch in den Displays moderner Smartphones, Tablets und LCD-Fernseher?

Die modernen Displays sind natürlich um vieles komplizierter geworden. Wenn Sie einen heutigen LCD- Fernseher auseinandernehmen, ist das eine extrem komplexe Optik. Dass der von mir entwickelte Grundeffekt sich so weiterentwickelt hat, ist das Verdienst von sehr vielen Leuten weltweit. Und wir haben das Ende der technologischen Entwicklung längst noch nicht erreicht.

Sie waren lange Zeit Leiter der Forschungsabteilung bei Hoffmann-LaRoche, danach bis zu Ihrer Pensionierung CEO der für die LC-Vermarktung verantwortlichen Roche-Tochter Rolic. Hat es Sie nie gereizt, Ihre Ideen – Sie haben immerhin mehr als 100 Patente publiziert – auch einmal selbst als Unternehmer zu vermarkten?

Genau das mache ich jetzt. Wenn ich heute mit jemandem zusammenarbeite, dann möchte ich am kommerziellen Erfolg des Endprodukts beteiligt sein. Andererseits hatte es auch viele Vorteile, mit einem großen Konzern im Rücken ungestört forschen zu können. Etwa wenn Sie im Wettbewerb mit der Konkurrenz mal  das schwere juristische Geschütz auffahren müssen. Als Einzelunternehmer haben Sie viel weniger Möglichkeiten.

Stichwort Konkurrenz: Wie haben Sie Ihre Entwicklungen vor potenziellen Nachahmern  geschützt?

Meine Politik als Forschungsleiter bei Roche war immer: Wir publizieren unsere Ergebnisse, wenn sie zum einen sicher patentiert sind und zum anderen ein gewisses Alter haben – zwei bis drei Jahre etwa, damit man diese Jahre Vorsprung vor der Konkurrenz hat. Das hat den Vorteil, dass man sich damit selbst unter Druck setzt, ständig weiter zu forschen, um diesen technologischen Vorsprung zu halten.

Für viele Unternehmen ist das ein grauenvoller Ansatz, die möchten immer alles unter dem Deckel behalten. Aber ich glaube nicht, dass sich die Technik hinter grundlegenden Entwicklungen wirklich dauerhaft geheim halten lässt. Früher oder später versteht immer jemand, wie es geht, und dann wird es sowieso publik.

Außerdem fände ich es auch nicht fair, wenn man immer nur die veröffentlichten  Forschungsergebnisse anderer nutzt, ohne selbst etwas preiszugeben. Man kann nicht immer nur nehmen. Allerdings gebe ich zu, dass ich mit dieser Meinung in der Minderheit bin.

Herr Schadt, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

1994 lagerte Roche die LC-Sparte in ein eigenes Unternehmen aus. Bis er 2002 in Rente ging, war Schadt Geschäftsführer dieser Rolic Ltd. Nun arbeitet er noch als Berater in der Branche. Im Laufe seiner Karriere hat Martin Schadt mehr als 110 Patente und 174 wissenschaftliche Paper publiziert. Seine Pionierleistung auf dem Gebiet der Flüssigkristalle wurde durch zahlreiche Preise gewürdigt. Erst im vergangenen Jahr erhielt er – zusammen mit George Heilmeier (RCA), Peter Brody (†, TFT-Steuerung) und Wolfgang Helfrich – in Washington den mit insgesamt 500.000 Dollar dotierten Charles Stark Draper Preis verliehen, gelegentlich auch als Nobelpreis für Ingenieure bezeichnet.

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