Der sture Pyromane

Unser Gencode bestimmt über Krankheit und Gesundheit, hilft bei der Verbrecherjagd ebenso wie beim Einsatz von Medikamenten. Pål Nyrén hatte die Idee, wie sich der Code einfach entziffern lässt - ein Milliardengeschäft.

Pål Nyrén
Sascha Karberg

Dank der von Pål Nyrén entwickelten Pyrosequenzierung können heute Milliarden von Erbgut-Bausteinen in wenigen Wochen und für kaum mehr als 8000 Dollar sequenziert werden.

Düsseldorf. Der Fortschritt kann mitunter sehr verschlungene Wege nehmen. So hatte der Forscher Pål Nyrén seine geniale Idee zur schnellen und einfachen Erbgut-Entzifferung wohl nur, weil er verheiratet ist. Denn hätte seine Frau nicht das Familienauto beansprucht, wäre er 1986 wohl kaum freiwillig im ungemütlichen englischen Januar per Fahrrad in sein Labor an der Universität Cambridge gefahren.

Doch so pochte ihm vor Anstrengung das Blut im Hirn, während er sich einen Hügel in der Nähe von Fullbourn hochquälte. Und plötzlich hatte er jenen Einfall, der das Entziffern von Erbgut grundlegend vereinfachte – und dem Forscher die Nominierung für den Europäischen Erfinderpreis 2013 einbrachte.

Ich dachte, ich wäre vielleicht nur dumm und stur
Ich dachte, ich wäre vielleicht nur dumm und stur

Rückblick: 1953 lösten der Amerikaner James Watson und der Brite Francis Crick das Rätsel der Struktur des Erbgutmoleküls DNA. Nicht einmal fünfzig Jahre später hatten Forscher in einer rund 95 Millionen Dollar teuren Anstrengung das menschliche Erbgut sequenziert, das heißt die Bausteinabfolge des 3,3 Milliarden Bausteine umfassenden Doppelhelix-Moleküls entziffert. Sie nutzten dafür eine Methode, die der Biochemiker Frederick Sanger Ende der 1960er Jahre entwickelt hatte.

Mit dieser Methode verbrachten Doktoranden und andere Jungforscher in den 1980er Jahren viel Zeit im Labor, entzifferten per Hand 300 oder vielleicht 500 DNA-Bausteine pro Tag. Auch Pål Nyrén, der mit dieser langsamen Technik allerdings gar nicht zurechtkam. „Ich war ziemlich frustiert“, gibt Nyrén zu.

Heute können Milliarden von Bausteinen in wenigen Wochen und für kaum mehr als 8000 Dollar sequenziert werden – nicht zuletzt mit der von Nyrén entwickelten Methode namens Pyrosequenzierung. Die Steigerung von Geschwindigkeit und die immer günstigeren Preise ermöglichen es Forschern beispielsweise, das Erbgut von Krebszellen aus tausenden von Tumoren zu analysieren, um besser zu verstehen, welche Genmutationen das ungehemmte Wuchern ausgelöst haben und welche Medikamente am besten dagegen helfen können.

Damit ist DNA-Sequenzierung eines der wichtigsten Werkzeuge hin zu einer personalisierteren Medizin. Die Sequenziertechniken ermöglichen es Ärzten und Forschern auch, das Erbgut von Kindern mit seltenen, rätselhaften Erbkrankheiten nach auffälligen Mutationen zu durchsuchen, um eine Diagnose stellen und passende Therapien anzuwenden oder entwickeln zu können.

Bei ärztlich angeordneten Gentests ist Nyréns Methode heute das Mittel der Wahl.
Bei ärztlich angeordneten Gentests ist Nyréns Methode heute das Mittel der Wahl.

Die Idee für eine bessere und schnellere Sequenziertechnk, die Nyrén während der Fahrradfahrt in den Sinn kam, basierte auf Experimenten aus den Jahren seiner Doktorarbeit an der Universität von Stockholm, wo er die Photosynthese von Bakterien untersucht hatte. Wenn diese Mikroben mit Licht bestrahlt werden, entsteht ein Molekül namens Pyrophosphat. Nyrén wurde Experte für den Nachweis dieses Pyrophosphats.

Auf besagter Fahrradfahrt grübelte Nyrén strampelnd darüber, wie sich die mühselige DNA-Sequenzierung verbessern ließe, als ihm auffiel, dass bei der Synthese, also dem Zusammenfügen von DNA-Bausteinen ebenfalls Pyrophosphat entsteht. „Die Idee hatte ich kurz vor der Hügelspitze zwischen Labor und Fullborn“, erinnert sich der Forscher. „Den Rest der Fahrt konnte ich das Rad rollen lassen und entspannt nachdenken.“

Die „Sequenz“ eines Erbgut-Moleküls setzt sich aus der Abfolge der immer gleichen vier Bausteine der DNA zusammen, abgekürzt mit A, C, T und G. So wie der Code eines Computers aus 0 und 1 besteht, sind die Erbinformationen in Form eines Gen-Codes aus diesen vier Bausteinen gespeichert. Anstatt das zu untersuchende DNA-Molekül Baustein für Baustein zu analysieren, benutzt Nyréns Methode die zu untersuchende DNA als Vorlage, um eine Kopie zu erstellen. Dazu gibt er zu der zu entziffernden DNA ein Kopierenzym hinzu und zunächst nur einen Typ der vier Erbgut-Bausteine, zum Beispiel Baustein A. Wenn das Kopierenzym an einer Stelle in der DNA-sitzt, wo es gerade einen A-Baustein benötigt, dann wird die DNA-Kopie ein Stück verlängert, ein Pyrophosphat wird frei und ein Lichtimpuls produziert – nicht zuletzt deshalb nennt sich die Methode Pyrosequenzierung (pyro = Flamme).

Eine spezielle Kamera erfasst den Lichtblitz und gibt ein digitales Signal an einen Computer weiter. Gibt Nyréns Automat dann den nächsten Baustein, zum Beispiel C, hinzu, misst die Kamera je nach Abfolge der Bausteine in der Erbgutprobe den nächsten Lichtimpuls - oder auch nicht, wenn dort zum Beispiel ein T erforderlich wäre und das Pyrophosphat deshalb ausbleibt. Am Ende spuckt der Computer die fertige Sequenz aus – sehr viel schneller und einfacher als bei anderen Methoden und vor allem ohne die Verwendung von radioaktiven Substanzen.

Aber es dauerte Jahre, bis Nyréns Idee Wirklichkeit wurde. Als beispielsweise die Automatisierung der Technik zunächst nicht funktionieren wollte, sah Nyren schon das Ende des Projektes kommen. Kein seltenes Ereignis in der Forschung, denn viele anfangs genial erscheinende Ideen scheitern an technischen Details, Unwirtschaftlichkeit oder schlicht Entwicklungsfehlern. „Ich dachte, dass ich vielleicht nur dumm und stur war und dass ich auf Kollegen hätte hören und das alles längst hätte aufgeben sollen“, sagt Nyrén.

Doch der „sture“ Schwede ließ nicht locker, arbeitete nebenher an Wochenenden an seinem Projekt „Pyrosequenzierung“. 1994 endlich konnte er das Royal Institute of Technology (KTH) in Stockholm überzeugen, ihm Zeit und Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Und mit Hilfe seiner Kollegen Mathias Uhlen und Mostafa Ronaghi konnte Nyrén schließlich seine DNA-Sequenzierungsmethode zum Patent anmelden. 2001 hielten die drei – die 1999 gemeinsam die Firma Pyrosequencing AB, später in Biotage umbenannt, gegründet hatten – die Patent-Urkunde in Händen.

Bereits 2008 hatte Nyréns Technik derart Furore gemacht, dass  der Biotech-Konzern Qiagen Biotage für 53 Millionen Dollar aufkaufte. Eine lohnenswerte Investition, denn der DNA-Sequenzierungsmarkt generiert Umsätze von 1,6 Milliarden Dollar jährlich und soll innerhalb der nächsten Jahre auf 2,2 Milliarden anwachsen, rund ein Drittel davon in Europa.

Trotzdem es mittlerweile eine Reihe anderer Sequenzier-Technologien auf dem Markt gibt, prophezeit Nyren der Pyrosequenzierung eine rosige Zukunft: Zwar lassen sich mit Pyroseqenzierung Millionen von Erbgutproben, so genannte Hochdurchsatz-Sequenzierung, zum Aufspüren bestimmter Informationen in großen Mengen von Erbgutmolekülen analysieren. Doch für diese Anwendung, die inzwischen von Roche Diagnostics vermarktet wird, gibt es inzwischen auch andere, vergleichbar gute Verfahren. Wenn es aber darum geht, wenige (bis zu 96) Proben besonders schnell auf bereits bekannte Geninformationen hin zu analysieren, wie es zum Beispiel bei ärztlich angeordneten Gentests nötig ist, dann seien Pyrosequenzierung noch immer einzigartig und die von der Firma Qiagen vertriebenen Pyrosequenzierungs-Kits das Mittel der Wahl.

Anerkennung nicht nur für die eigene Arbeit

Für den Europäischen Erfinderpreis nominiert zu sein, bedeutet Nyrén viel: „Solche eine Anerkennung ist nicht nur für die eigene Arbeit wichtig sondern auch für die nächste Generation von Wissenschaftlern ein Zeichen, dass die Gesellschaft harte Arbeit Wert schätzt und dass es sich lohnt, nicht aufzugeben, selbst wenn niemand an die ‚dumme Idee’ glaubt.“

In seinem eigenen Labor an der Universität Stockholm bemüht sich Nyrén, die „Kreativität junger Leute nicht abzuwürgen, sondern sie erst einmal ihre Ideen testen zu lassen, bevor man sie kritisiert.“ Die besten Ideen seien diejenigen, an die anfangs nur ganz wenige glauben: „Wenn man wirklich für eine Idee brennt,

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