Architektin der modernen Computerwelt

95 Prozent aller Smartphones weltweit sind mit Prozessoren ausgestattet, die auf Entwicklungen von Sophie Wilson zurückgehen. Auch Apple-Guru Steve Jobs interessierte sich für die Erfindungen der Computer-Pionierin.

Wilson
von Uta Deffke

In einer Zeit, in der noch kaum jemand wusste, wozu Computer gut sind und schon gar niemand eine besaß, gehörte Sophie Wilson zu den Pionieren des PC- und Prozessor-Baus.

Berlin. Die Champagnerkorken knallten, als der nagelneue Prozessor seinen Testlauf tadellos absolviert hatte. Monate harter Arbeit lagen hinter Sophie Wilson, Steve Furber und ihren Kollegen von der britischen Computer-Firma Acorn. Sie hatten sich – ohne wirkliche Erfahrung auf diesem Gebiet – daran gewagt, einen eigenen Prozessor zu bauen, um ihren Computern schnelleres Arbeiten zu ermöglichen.

Dass der Prototyp beim ersten Test so problemlos lief, war allerdings eine Sensation. Denn bei genauerem Hinsehen stellte Furber fest, dass eine Leitung auf der Platine kaputt und damit die Stromversorgung unterbrochen war. Der Prozessor brauchte offenbar so wenig Energie, dass ihm Leck-Ströme aus dem übrigen Kreis reichten.

Ein Zufall, wie Sophie Wilson betont, und der Garant für einen Jahrzehnte langen Erfolg, wie er im rasant getakteten Computer-Geschäft sehr selten ist: Von seiner Geburtsstunde im April 1985 bis zum Jahr 2012 wurden rund 30 Milliarden dieser ARM-Prozessoren verkauft, hauptsächlich für mobile Geräte, die ohne sehr sparsamen Betrieb nicht denkbar wären. Rund 95 Prozent aller Smartphones weltweit sind damit ausgerüstet, außerdem Tablets, Video- und Fotokameras, digitale TV-Geräte, ABS-Systeme und vieles mehr.

Im Prinzip bis heute unverändert

„Bis zur vorletzten Version war noch mein Original-Code darauf“, erzählt Wilson. Mittlerweile ist der Chip zwar dank neuer Fertigungstechnologien in der Fläche um den Faktor 10.000 geschrumpft, sonst aber im Prinzip unverändert. Es macht sie immer noch staunen, dass dieser Chip auch 30 Jahre nach seiner Erfindung so populär ist.

Selbst in ihrer Heimatgemeinde nahe Cambridge weiß kaum jemand, dass die blonde Frau, die so gerne mit Fotokamera und Stativ unterwegs ist, für den Herzschlag ihrer Handys verantwortlich ist.
Selbst in ihrer Heimatgemeinde nahe Cambridge weiß kaum jemand, dass die blonde Frau, die so gerne mit Fotokamera und Stativ unterwegs ist, für den Herzschlag ihrer Handys verantwortlich ist.

Ganz im Gegensatz zu seiner Erfinderin. Die Britin Sophie Wilson hat zwar im Laufe der Jahre einige Ehrungen erfahren, zuletzt wurde sie Fellow des Computer History Museums und in diesem Jahr Fellow der Royal Society. Aber über die Fachcommunity hinaus ist sie kaum bekannt – kein Vergleich mit ähnlich einflussreichen Pionieren wie Steve Jobs (Apple) oder Tim Berners-Lee (World Wide Web). Auch in ihrer ländlichen Heimat bei Cambridge weiß niemand, dass die blonde Frau, die so gerne mit Fotokamera und Stativ unterwegs ist, gewissermaßen für den Herzschlag ihrer Handys verantwortlich ist. Nun ist sie nominiert für den Europäischen Erfinderpreis in der Kategorie Lebenswerk.

Während Sophie Wilson ihr Leben als Frau erst vergleichsweise spät begann – sie wurde 1957 als Roger Wilson geboren – war sie in Sachen Computer ein Frühstarter. In einer Zeit, in der noch kaum jemand wusste, wozu diese Rechenmaschinen gut sind und schon gar niemand eine besaß, gehörte sie zu den Pionieren des PC- und Prozessor-Baus.

Karrierebeginn im Kuhstall

Begonnen hat ihre erfolgreiche Karriere im Kuhstall – jedenfalls virtuell. Denn eines ihrer ersten Projekte war die Entwicklung einer Kuh-Fütterungsmaschine, die jeder Kuh ihre über ein elektronisches Etikett angezeigte Menge an Futter zuteilte. Einer von mehreren Ferienjobs, mit denen sie sich neben dem Mathematikstudium in Cambridge ein bisschen Geld verdiente. Und der bereits die Grundlage für ihre späteren großen Erfolge war, denn sie hatte für die Maschine mit dem MOS 6502 einen Prozessor gewählt, der gerade auf den Markt gekommen war und – weil besonders schnell und billig – lange Jahre das Nonplusultra insbesondere für die damals aufkommenden PCs sein sollte.

Eigentlich galt Sophie Wilsons Leidenschaft schon seit Schulzeiten der Mathematik. Das Know-how für ihre Computer-Basteleien hatte sie sich angelesen, und so konnte ihr das Computer-Science-Studium an der Uni, auf das sie ausweichen musste, als sie durch die Mathe-Examen des zweiten Jahres fiel, nicht mehr viel beibringen. In Cambridge kam sie in Kontakt mit Hermann Hauser in Kontakt, einem damals 28-jährigen Physiker aus Österreich. Er wollte handliche Geräte bauen und betrieb unter dem spaßigen Namen „CPU – Cambridge Processor Unit“ eine Computer-Klitsche, in der er einen Haufen Studenten um sich scharte.

„Das war Hermanns österreichischer Humor“, kommentierte Wilson einmal Hausers Wortspiel mit dem Kürzel CPU, das auch für die zentrale Recheneinheit – Central Processing Unit – eines Computers steht. „Wir machten die Dinge, die uns gefielen, das war auch unsere Stärke“, sagt Wilson.

Acorn vor Apple

1979 machte Hauser aus der CPU schließlich ein ordentliches Unternehmen und nannte es Acorn – der Legende nach, um mit seiner Baumfrucht (Acorn  = Eichel) im Telefonbuch vor Apple zu stehen. Und schon vor dem Uni-Abschluss hatte Wilson einen Vertrag als Chef-Designer in der Tasche.

Acorn machte sich daran, einen der ersten britischen Mikrocomputer zu entwickeln, den Acorn System 1. Vor allem bezahlbar sollte er sein, nachdem der 1977 auf den Markt gebrachte Apple II doch mehr etwas für Spezialisten und Liebhaber war. Sophie Wilson konnte sich dabei mit all ihren Fähigkeiten austoben: Vom Entwurf und Bau der Schaltkreise über die Programmierung auf verschiedenen Ebenen  bis zur Nutzer-Oberfläche. Dazu die gesamte Dokumentation.

„Das kann sich heute gar kein Student mehr vorstellen“, sagt Wilson. „Die jungen Leute kommen zu uns und dann wird ganz viel mit Software-Bausteinen gearbeitet, die andere schon geschaffen haben. Das gab es alles damals noch nicht, ich habe alles von Grund auf selber gemacht.“ Entscheidend für den Erfolg von Acorn war auch die kollegiale Arbeitsatmosphäre und die gute Kommunikation, an der Sophie Wilson dank ihres Allround-Wissens entscheidenden Anteil hatte.

Entscheidend für den Erfolg von Acorn war die kollegiale Arbeitsatmosphäre und die gute Kommunikation, an der Sophie Wilson dank ihres Allround-Wissens entscheidenden Anteil hatte.
Entscheidend für den Erfolg von Acorn war die kollegiale Arbeitsatmosphäre und die gute Kommunikation, an der Sophie Wilson dank ihres Allround-Wissens entscheidenden Anteil hatte.

In vier Tagen vom Plan im Kopf zum fertigen PC

10.000 Exemplare verkaufte Acorn von seinem ersten Computer, und bald folgte unter dem Namen Acorn Atom der erste PC für jedermann. Als man gerade das Nachfolgemodell Proton im Kopf hatte, klingelte die BBC an mit einem Projekt, das Acorn den endgültigen Durchbruch bringen sollte. Der Sender hatte sich entschlossen, eine Fernsehserie zu produzieren, um die Technologie zu erklären und jedermann zugänglich zu machen: das BBC Literacy Project. Dazu wollte man auch einen Computer anbieten, der sich mit dem didaktischen Anspruch der Sendung vertrug. Die Wünsche hinsichtlich Ausstattung und Geschwindigkeit des Rechners waren ambitioniert.

Man habe so eine Maschine praktisch fertig, pries Hauser seine Technik mit etwas übertriebenem Optimismus an. Und so begann der wohl heißeste Ritt in Sophie Wilsons Entwickler-Laufbahn. Denn in Wahrheit existierte kaum mehr als die Pläne im Kopf. Ganze vier Tage blieben, um daraus einen funktionierenden PC zu zimmern: Die Pläne mussten auf Papier gebracht, die Bauteile – zum Teil nur im Ausland zu haben – besorgt und zusammengelötet werden.

„Am Freitag früh um zwei Uhr konnte ich nicht mehr denken. Ich ging nach Hause, schlief, und als ich um acht zurückkam, hatten die anderen die Hardware zum Laufen gebracht“, erinnert sich Wilson. Ihr blieben drei Stunden, um das Ding zu programmieren. Um 11 Uhr stand die BBC vor der Tür – und der Prototyp überzeugte. Damit war nicht nur der BBC Micro geboren, wie der Computer von da an hieß, sondern auch BBC Basic, eine der berühmten Programmiersprachen, die Wilson über die nächsten eineinhalb Jahrzehnte immer weiter pflegen und ausbauen sollte.

Wegweisende Technologie

Der Stress war damit aber keinesfalls zu Ende. „Wir arbeiteten in diesen Anfangsjahren sowieso 12 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche“, erzählt Wilson. Ganz besonders gut kann sie sich noch an den 29. Juli 1981 erinnern. „Es war der Tag, an dem ganz Großbritannien frei hatte, um die Hochzeit von Lady Di und Prinz Charles zu verfolgen, und wir saßen in unserem Labor und bastelten vor dem laufenden Fernseher.“ Um den BBC Mikro zu vervollkommnen.

Den PC baute Acorn nicht selbst, sondern suchte sich Partner dafür – keine ganz leichte Aufgabe, wie Wilson betont: „Es war ein sehr aggressives Design, alle Komponenten waren neu. Das hatte es so zusammen noch nie gegeben.“ Viele der Komponenten, die Acorn für den BBC Micro entwickelt hatte, waren wegweisend und fanden Eingang in andere Rechnertypen und Technologien.“

Der BBC Micro selbst und seine Nachfolger fanden reißenden Absatz. Mehr als eine Million davon wurden innerhalb eines Jahrzehnts in Großbritannien verkauft. „Das war ein Erfolg, der unsere kühnsten Erwartungen bei Weitem übertraf“, betont Wilson.

Als echter Computer-Pionier war Sophie Wilson für praktisch alle Arbeiten verantwortlich - vom Entwurf und Bau der Schaltkreise über die Programmierung auf verschiedenen Ebenen  bis zur Nutzer-Oberfläche.
Als echter Computer-Pionier war Sophie Wilson für praktisch alle Arbeiten verantwortlich - vom Entwurf und Bau der Schaltkreise über die Programmierung auf verschiedenen Ebenen bis zur Nutzer-Oberfläche.

Auch Apple interessiert sich für den neuen Prozessor

Für die weiteren Ideen – sei es Richtung Home PC, Workstations oder Business-Anwendungen – fand sich Acorn dann aber in einer Sackgasse wieder. „Wir hatten ein sehr gutes Speichersystem vom BBC-Rechner, aber wir konnten keinen Prozessor finden, der schnell genug war, um das adäquat auszuschöpfen.“ Wilson und Furber machten sich auf, um in aller Welt nach geeigneten Alternativen zu suchen.

Insbesondere waren sie interessiert an der sogenannten RISC-Technologie, Reduced Instruction Set Computing. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie mit einem sehr kleinen Befehlssatz auskommt und sehr viel einfacher aufgebaut ist als gewöhnliche Prozessoren. Als sie schließlich zu Bill Mensch kamen, dem Vater des MOS 6502-Prozessors, stellten sie überrascht fest, dass sich hinter dessen „Western Design Center“ in Phoenix, Arizona kein Hightech-Entwicklungszentrum. sondern ein gewöhnlicher Bungalow mit einem Team aus Studenten verbarg. „Ab dem Moment waren wir überzeugt, dass wir das auch selber schaffen könnten“, erinnert sich Wilson.

Damit schlug ihre große Stunde. Im Grunde, so berichtet es Hermann Hauser, hat sie den Befehlssatz und das Drumherum, woran IBM & Co. monatelang mit aufwändigen Computersimulationen herumdokterten, alles im Kopf entwickelt und dann mit Steve Furber in entsprechende Hardware umgesetzt. Wilson schrieb einen völlig neuen Befehlssatz für ihren Chip, der so einfach war, dass die Zahl der benötigten Transistoren von 135.000 in gewöhnlichen PC-Prozessoren auf 25.000 reduziert werden konnte.

Gastauftritt als Kneipenwirtin

Das wirkte sich insbesondere auch auf den Energieverbrauch aus. Innerhalb von 18 Monaten brachten sie Acorns erste Advanced RISC Machine (ARM) auf den Markt. Auch Apple interessierte sich für den neuen Prozessor und integrierte ihn bereits in das weltweit erste Tablet „Newton“. Steve Jobs war es auch, der dazu riet, die Prozessor-Entwicklung von Acorn abzukoppeln. Zusammen mit dem Prozessor-Hersteller VLSI und Acorn beteiligte sich Apple zu 43 Prozent an dem neuen Unternehmen ARM Limited.

Sophie Wilson blieb bei Acorn, weil die Aufgaben dort wesentlich vielfältiger waren. Neue Herausforderungen lagen zum Beispiel im Bereich Video und Grafik sowie anderer neuer Technologien wie ADSL, für die sie mit dem Firepath einen weiteren sehr erfolgreichen Prozessor entwickelte. Von ihrem reichen Erfahrungsschatz und ihrer Inspiration profitiert jetzt Broadcom, in dem Acorn mittlerweile aufgegangen ist. Dort arbeitet sie als Senior Director für Chip-Design und wirkt mit ihrem Kommunikationstalent als wichtige Schnittstelle zwischen den diversen Abteilungen.

2009 durfte sie noch einmal eine kleine Zeitreise in ihre Anfangsjahre unternehmen – in der BBC-Verfilmung „Micro Men“, die die Entwicklung der ersten britischen Mikrocomputer zeigte, inklusive des BBC Micro. Sophie Wilson, die in ihrer Freizeit gerne auch Theater spielt, mit allem, was dazu gehört, vom Kostüm Design bis zum Plakate Malen, hatte einen Kurzauftritt als Pub Landlady –  eine Form von Kommunikationszentrale, die ihr auch gelegen haben dürfte. 

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