Der Pixel-Macher

Mit seinen Experimenten zu Flüssigkristallen legt Martin Schadt Anfang der 1970er Jahre den Grundstein für die massenhafte Produktion von dünnen Displays.

Schadt
von Uta Deffke

„Ich wollte immer verstehen, wie die Dinge funktionieren“

Düsseldorf. Lesen Sie diesen Artikel gerade am Bildschirm Ihres Computers, iPads oder Smartphones? Dann blicken Sie direkt auf die Erfindung von Martin Schadt – Pixel für Pixel. Auch wenn Sie lieber zur Zeitung greifen, ist sie Ihnen heute mit ziemlicher Sicherheit schon begegnet oder wird es noch – auf Ihrem Wecker, der Abfahrtsanzeige am Bahnhof oder dem Fernseher, in Form eines LC-Displays oder TFT-Bildschirms.

Mit seinen Experimenten zu Flüssigkristallen (Liquid Crystals – LC) und der Entwicklung der Schadt-Helfrich-Zelle, die heute noch hinter nahezu jedem Pixel steckt, hat der Schweizer Physiker Martin Schadt Anfang der 1970er Jahre den Grundstein gelegt für die massenhafte Produktion von dünnen Displays. Allein 2012 wurden 40 Millionen TV-Bildschirme mit dieser Technologie produziert, die insgesamt für einen jährlichen Umsatz von rund 100 Milliarden US-Dollar verantwortlich ist. Seine bahnbrechende Forschung hat Martin Schadt jetzt die Nominierung für den Europäischen Erfinderpreis 2013 eingebracht.

Dass Bildschirme tatsächlich bildflach geworden sind und wir Internet im Hosentaschenformat mit uns herumtragen können, ist jener merkwürdigen Substanz zu verdanken, die zu Martin Schadts Forscher-Elixir wurde: Flüssigkristalle sind deshalb bemerkenswert, weil sie kristalline Eigenschaften besitzen, obwohl sie flüssig sind.

Während sich Kristalle durch eine feste Ordnung ihrer Bausteine – Atome oder Moleküle – auszeichnen, herrscht in Flüssigkeiten eigentlich Unordnung. Die langen, stäbchenförmigen Moleküle von Flüssigkristallen allerdings sind zumindest alle in dieselbe Richtung orientiert. Diese Ordnung verleiht ihnen interessante elektro-optische Eigenschaften: Sie bestimmt, ob die Flüssigkristalle lichtdurchlässig sind oder nicht, und sie lässt sich durch Anlegen von elektrischen Feldern sehr gut beeinflussen.

1888 von dem österreichischen Botaniker Friedrich Reinitzer bei der Untersuchung der Inhaltsstoffe von Karotten entdeckt, fristeten Flüssigkristalle viele Jahrzehnte ein Dasein als Kuriosum, bevor ihr Anwendungspotenzial als spannungsgesteuertes Lichtventil erkannt wurde, mit dem eine kleine Fläche auf einem Bildschirm von hell nach dunkel und wieder zurück geschaltet werden kann.

Im Laufe seiner Karriere hat Martin Schadt mehr als 110 Patente und 174 wissenschaftliche Paper publiziert.
Im Laufe seiner Karriere hat Martin Schadt mehr als 110 Patente und 174 wissenschaftliche Paper publiziert.

Martin Schadt wurde auf diese Substanzen Ende der 1960er Jahre aufmerksam, als er für die Schweizer Uhrenfirma Omega Atomzeitstandards entwickelte. Interesse weckte bei Schadt vor allem ein Forschungsprogramm des Baseler Pharmakonzerns Hoffmann-LaRoche. Weil sich der Physiker bereits während seiner Post-Doc-Zeit mit Elektrooptik und organischen Materialien befasst hatte und an interdisziplinärer Arbeit interessiert war, heuerte er dort an.

Wenig später begegnete der seit Kindertagen begeisterte Experimentator dem deutschen theoretischen Physiker Wolfgang Helfrich. Der kam von der US-amerikanischen Radio Corporation of America (RCA), wo man erste Flüssigkristallanzeigen entwickelt hatte. Während RCA jedoch kein Interesse mehr zeigte an Helfrichs Ideen zur Weiterentwicklung der LCD hin zu mehr Effizienz und Massenproduktion, fand er in Schadt einen kongenialen Partner, der sofort dafür entflammte. Am 4. Dezember 1970 reichten die Forscher ihr Patent über den sogenannten Twisted-Nematic (TN)-Effekt ein.

„Im Vergleich zu den früheren Flüssgkristall-Effekten liefert dies deutlich höhere Kontrastverhältnisse bei deutlich niedrigerer Ansteuerleistung und schnelleren Schaltzeiten“, urteilte der Stuttgarter Professor Norbert Frühauf 2009, anlässlich der Verleihung des Technologie-Preises der Eduard-Rhein-Stiftung an Schadt. Deshalb habe sich dieser Effekt praktisch sofort nach seiner Erfindung als Standardtechnologie durchgesetzt und somit eine entscheidende technologische Voraussetzung für das Entstehen und Gedeihen der Milliarden schweren LCD-Industrie geschaffen.

Die Skepsis ist groß

Bis es soweit kommen sollte, gab es allerdings noch einige Hürden zu überwinden. Zum einen, so berichtet Schadt, gab es noch keine Flüssigkristalle, die den Effekt bei Raumtemperatur zeigten. Und, was zunächst noch gravierender war, kaum jemand glaubte so recht, dass sich damit tatsächlich Displays realisieren ließen. Allein die Skepsis gegenüber organischen Materialien in der Elektronik war sehr groß.

Tatsächlich stellte Hoffmann-La Roche seine Unternehmungen auf diesem Gebiet 1971 ein und Schadt machte einen zweijährigen Abstecher in die Biophysik. Der Impuls für die Wiederaufnahme der Aktivitäten und den endgültigen Durchbruch der Technologie kam aus Japan. Ein Uhrenhersteller wollte das Patent erwerben. Martin Schadt gelang es, sein Unternehmen vom Verkauf abzubringen und davon zu überzeugen, dass das Anwendungspotenzial der Flüssigkristallzellen weit über die Uhren hinaus reicht.

Und so durfte er mit eigener Gruppe die Forschungen daran wieder aufnehmen. Neue, massentaugliche LC-Materialien und elektro-optische Feldeffekte standen dabei im Mittelpunkt. Und Roche wurde zu einem der Hauptlieferanten von Flüssigkristallen für die wachsende LCD-Industrie.

Bald schon ließen sich ganze Bildschirme aus diesen Zellen aufbauen, in dem jede Zelle ein Pixel darstellte und die einzelnen Pixel durch ein Netz von Leitern auf den Glasplatten angesteuert wurden. Noch präziser gelang dies durch – natürlich durchsichtige – Dünnschicht-Transistoren (Thin-Film Transistor = TFT), die vor jede Zelle geschaltet wurden. Auch eine sehr differenzierte Farbdarstellung wurde möglich, durch Mischen des Lichts aus drei individuellen Sub-Zellen, die mit den üblichen Farb-Filtern Rot, Blau und Grün ausgestattet und mit unterschiedlicher Durchlassintensität ansteuerbar sind. 

Auch in den Pixeln der Post-LC-Bildschirme steckt ein bisschen Martin Schadt.
Auch in den Pixeln der Post-LC-Bildschirme steckt ein bisschen Martin Schadt.

1994 lagerte Roche die LC-Sparte in ein eigenes Unternehmen aus. Bis er 2002 in Rente ging, war Schadt Geschäftsführer dieser Rolic Ltd. Nun arbeitet er noch als Berater in der Branche. Im Laufe seiner Karriere hat Martin Schadt mehr als 110 Patente und 174 wissenschaftliche Paper publiziert. Seine Pionierleistung auf dem Gebiet der Flüssigkristalle wurde durch zahlreiche Preise gewürdigt. Erst im vergangenen Jahr erhielt er – zusammen mit George Heilmeier (RCA), Peter Brody (†, TFT-Steuerung) und Wolfgang Helfrich – in Washington den mit insgesamt 500.000 Dollar dotierten Charles Stark Draper Preis verliehen, gelegentlich auch als Nobelpreis für Ingenieure bezeichnet.

Dass der inzwischen 74Jährige einmal ein international gefeierter Wissenschaftler werden würde, dessen Erfindung ihren Siegeszug um die ganze Welt macht, daran hätte in seinem kleinen Schweizer Geburtsort Liestal, südöstlich von Basel, sicher niemand gedacht. Auch nicht, als der Junge die bodenständige Nachbarschaft mit pyrotechnischen Knalleffekten und Störfunk aus selbstgebauten Röhrenradios ein wenig aufrüttelte. In den 1940er und 1950er Jahren hatten die Menschen dort keine hochfliegenden Träume, nicht einmal der Besuch einer Universität war vorgesehen. Und so setzte Schadt seine Karriere als Experimentator auch erst einmal mit einer vierjährigen Elektrikerlehre in Basel fort.

Wissenschaftliche Welten kombinieren

Dem wissbegierigen jungen Mann war das aber nicht genug: „Ich wollte immer verstehen, wie die Dinge funktionieren“, sagt er. Das Flair der alten Universitätsstadt Basel tat sicher sein Übriges, und so besuchte Schadt die Abendschule und bestand das Aufnahmeexamen an der Universität, wo er schließlich Physik studierte.

Die Leidenschaft am Experimentieren blieb und auch das Interesse für die Kombination verschiedener wissenschaftlicher Welten. So vertiefte er sich in seiner Doktorarbeit in das damals noch sehr exotische Feld der organischen Halbleiter. Während seiner Post-Doc Zeit, die er mit einem Stipendium in Ottawa verbrachte, entwickelte er sogar die erste OLED (Organic Light Emitting Diode) mit Festkörperelektroden, für die er sein erstes US-Patent erhielt.

Allerdings waren Materialien und Technologie damals noch meilenweit von den Anforderungen industrieller Fertigung entfernt. Schadt glaubte nicht so recht an die Zukunft der organischen Halbleiter und kehrte – ausnahmsweise einmal dem Klischee folgend – in seine Schweizer Heimat zurück, zum Uhrenhersteller Omega.

25 Jahre dauerte es, bis bei Kodak die ersten effizienten OLEDs entwickelt wurden, und 2007 – knapp 40 Jahre nach Schadts Patent – der erste kommerzielle OLED Fernsehbildschirm erhältlich war. Sollte diese Technologie einmal die LCD ablösen, ist also eines gewiss: Auch in den Pixeln der Post-LC-Bildschirme steckt ein bisschen Martin Schadt.

nach oben