ReportagePiratenjagd am Horn von Afrika

Mehr als 20 Schiffe und über 500 Menschen sind am Horn von Afrika in der Gewalt von Piraten. Handelsblatt Online begleitete die portugiesische Fregatte „Vasco da Gama“ Mitte April zehn Tage lang auf ihrer Jagd nach somalischen Piraten. Und mit einem Seeaufklärer der deutschen Marine  flog Reporter Florian Brückner über die Ostküste Somalias - über Camps und gekaperte Schiffe der Piraten.

Tag 08 – Die Piraten schlagen zu

Einschüsse von Maschinengewehren auf der Brücke waren das einzige, was die Piraten zurückgelassen hatten. Als südkoreanischen Spezialeinheiten des Zerstörers „Choi Young“ mit entsicherten Waffen im Anschlag Schritt für Schritt das Schiff durchsuchten, waren die Angreifer verschwunden. Die Crew hatte sich im Panikraum, der Zitadelle des modernen Containerschiffs in Sicherheit gebracht. Zurück bleibt ein Rätsel, das große Gesprächsthema an Bord der „Vasco da Gama“.

„Warum haben sich die Piraten zurückgezogen? Sie hätten das Schiff übernehmen können“, sagt Korvettenkapitän João Piedade, Wachleiter der Operationszentrale, auf der Brücke der portugiesischen Fregatte. Er ist nachdenklich. Wenn die Piraten erst einmal an Bord sind und die Brücke eingenommen haben, verzichten die meisten Militärs auf einen Befreiungsversuch. Zu gefährlich, das Leben der Geiseln hat Vorrang, die Lage ist zu unübersichtlich. Warum also sind die Piraten verschwunden, nachdem sie erst den Frachter beschossen und die Crew mitten in der Nacht zur Flucht gezwungen hatten?

Vielleicht, weil sie bei der „Rosalia D'Amato“ mehr Glück hatten, „und der Panikraum der Hanjin Tianjin am Ende vielleicht doch zu sicher, zu schwer zu knacken gewesen wäre“, sagt Kapitänleutnant Artur Lucas da Silva vom Planungsstab, der das Hauptquartier der EUNVAFOR unterstützt. Da kam die Rosalia D'Amato gerade recht. Der italienische Schüttgutfrachter wurde im Süden des Arabischen Meeres, 70 Seemeilen von der „Hanjin Tianjin“ entfernt, aufgebracht.

Um 23 Uhr hatte der Kapitän der „Hanjin Tianjin“ noch um Hilfe gerufen – und hatte die „TCG Giresun“ erreicht. Die türkische Fregatte war das einzige Kriegsschiff, das im äußersten Osten des Internationalen Sicherheitskorridors, fernab der massiven Militärpräsenz im Golf von Aden, kreuzte.

Doch der Funkkontakt brach abrupt ab. Die „Giresun“ setzte eine Warnung an alle Schiffe in der Nähe ab. Umsonst. Drei Stunden später fingen die türkischen Soldaten einen Notruf der „Rosalia D'Amato“ auf. Zu diesem Zeitpunkt war das Frachtschiff mit einem Leergewicht von mehr als 74.000 Tonnen rund 365 Seemeilen von Salalah, der Hauptstadt der omanischen Provinz Dhofar, entfernt. Zwei Notrufe, ein Kriegsschiff.

„Die Giresun stand vor der schwierigen Entscheidung, dass sie nur einem der beiden Schiffe würde helfen können“, sagt Lucas da Silva und lässt sich einen Espresso bringen. Die Giresun nahm Kurs auf die „Rosalia D'Amato“ und schickte einen Hubschrauber zur „Hanjin Tianjin“. Der Panikraum des modernen südkoreanischen Containerschiffs würde den Piraten länger standhalten können als der der „Rosalia D'Amato“. Um 5 Uhr morgens erreichte der Helikopter sein Ziel. Das Bild, das die Crew zu sehen bekam, muss gespenstisch gewesen sein.

Führungslos trieb die „Hanjin Tianjin“ am frühen Morgen übers Meer. Das Containerschiff war hell erleuchtet, aber an Bord keine Menschenseele zu sehen. Kein Mitglied der 20-köpfigen Crew, kein Pirat. Niemand. Dann die Hiobsbotschaft von der „Rosalia D'Amato“ – kein Funkkontakt mehr, gar nichts. Wenig später die Gewissheit: Die Piraten hatten ihr Ziel erreicht – das Schiff war geentert und entführt worden.

„Die Nervosität der Seeleute an Bord der Schiffe hier ist verständlicherweise extrem gestiegen“, sagt Korvettenkapitän João Piedade, Wachleiter der Operationszentrale. Konsequenz: Überall werden plötzlich verdächtige Dhaus und kleine Piratenboote gesichtet. Jeder Fischer wird zur Bedrohung. „Allein in den vergangenen Stunde haben uns drei Handelsschiffe verdächtige Boote berichtet, die sie verfolgen würden.“ Er grinst breit.

Aber die Fehlalarme halten die Kriegsschiffe in Atem und machen die Lage noch unübersichtlicher als sie ohnehin schon ist. Zumal die Handelsschiffe oft ein und dieselbe Dhau immer wieder melden. „Auf der anderen Seite: Manche Fischer sind im Zweitjob Schmuggler und mit ihrem dritten Beruf Pirat“, sagt Korvettenkapitän Lucas da Silva. Die Lage ist vertrackt.

Die Piraten an Bord der „Rosalia D'Amato“ sind mit ihren Geiseln längst unterwegs zur somalischen Küste. Wohin? Das wissen nur die Piraten selbst. „An der langen Küste Somalias gibt es genug Möglichkeiten, wo sie mit ihrer Beute sicher vor Anker gehen können“, sagt Lucas da Silva, und verschränkt die Arme. Heute haben die Piraten gewonnen.

Entern einer Dhau