ReportagePiratenjagd am Horn von Afrika

Mehr als 20 Schiffe und über 500 Menschen sind am Horn von Afrika in der Gewalt von Piraten. Handelsblatt Online begleitete die portugiesische Fregatte „Vasco da Gama“ Mitte April zehn Tage lang auf ihrer Jagd nach somalischen Piraten. Und mit einem Seeaufklärer der deutschen Marine  flog Reporter Florian Brückner über die Ostküste Somalias - über Camps und gekaperte Schiffe der Piraten.

Tag 07 – Übung ist alles

Erst wird die „Vasco da Gama “manövrierunfähig, dann bricht ein Feuer aus, als nächstes schießt Wasser durch ein Leck im Sonarraum – und am Ende fällt auch noch ein Dieselaggregat aus. Nicht zu vergessen der Angriff zweier Mirage-Kampfflugzeuge, die es auf das Kriegsschiff im Golf von Aden abgesehen haben. Und jetzt ist auch noch ein Mann über Bord.

Wenn keine Piraten in Sichtweite sind, kann sich die „Vasco da Gama “auch sehr gut mit sich selbst beschäftigen, mit einem Übungsdrill nach dem anderen. Ein Signalhorn trötet dumpf durch die Stahlkorridore. Während der erste Offizier João Folgado Bargado in aller Seelenruhe seinen weißen Sicherheitshelm mit der Schutzbrille aufsetzt, stürmt ein Teil der Mannschaft bereits an ihm vorbei auf der Steuerbordseite zu einem der beiden Schlauchboote.

Bargado wirft einen Blick auf seine Armbanduhr, stapft hinter den Männern und Frauen her. Ein Fingerzeig – da, hinter der „Vasco da Gama“, ist ein orangefarbener Punkt in den Wellen zu erkennen. Eine Rettungsweste - der über Bord gegangene Rettungsdummy.

Das Schlauchboot ist im Wasser, drei Crewmitglieder sind unterwegs zu dem Verunglückten. Währenddessen hat die „Vasco da Gama “ihre Geschwindigkeit reduziert und fährt nun einen großen Bogen, um den Abstand zwischen Schiff und Warnweste nicht zu groß werden zu lassen. Am Ende werden sechs Minuten seit dem Notruf vergangen sein, bis der Dummy mit seinen dicken schwarzen Gummistiefeln aus dem Wasser gehievt ist. Eine gute Zeit. Bargado ist zufrieden.

„Bei den Wassertemperaturen hier im Golf von Aden könnte ein Mensch mit einer Rettungsweste stundenlang überleben – wenn die Haie nicht wären“, Bargado lächelt ein diebisches Lächeln, sein Bart wackelt, die Augen blitzen – aber nur kurz. „Im Atlantik sieht die Sache bei Temperaturen von 14 Grad allerdings schon ganz anders aus.“ Rückblende.

In der baltischen See waren während eines Wintermanövers zwei Seeleute ins Wasser gefallen, und vor seinen Augen gestorben. Ihr Schlauchboot war schon so gut wie an Bord – als es samt den beiden Männern umkippte. „Das bleibt hängen, das vergisst man nicht so schnell. Sie waren vielleicht nur sieben Minuten im Wasser. Aber es war einfach zu kalt, sie sind beide erfroren.“ Der Dummy ist inzwischen vom Bordarzt begutachtet worden. Alles just in time. Übung, Routine, Ordnung – Sauberkeit und Sicherheit, das sind Bargados Spezialgebiete.

Er ist die rechte Hand des Kapitäns, der zweitwichtigste Mann an Bord der „Vasco da Gama “– und „die Hausfrau des ganzen Schiffes“, so beschreibt Bargado zumindest in eigenen Worten seine Position an Bord der portugiesischen Fregatte. Diese Bescheidenheit kann sich der stellvertretende Kommandant eines Kriegsschiffes leisten.

Ob es um das Ändern der Schiffsgeschwindigkeit, den Einsatz von Waffengewalt oder den Abflug des Helikopters geht - ist der Kapitän nicht da, ist Bargado der Mann der Stunde. Aber nicht nur dann: „Im Prinzip bin ich tatsächlich für alles verantwortlich“, sagt er bei seinem täglichen Rundgang durchs Schiff. Er bleibt stehen, seufzt, bückt sich und kniet sich vor einem Feuerlöscher nieder – der Löschschlauch baumelt lose herab. Seit 22 Jahren ist Bargado in der portugiesischen Marine, seit Ende 2009 auf der „Vasco da Gama“.

„Das sieht jetzt nur nach einer Kleinigkeit aus“, sagt Bargado während er den Schlauch in eine Halterung friemelt, „aber irgendwann wird genau dieses Teil nicht mehr in Ordnung sein, wenn es nicht da ist, wo es hingehört. Die Details sind es, die den Unterschied ausmachen.“ Kleinigkeit? Eine Petitesse? Es geht letztlich um die Ordnung an Bord - eine Ordnung, die Sicherheit und Funktionsfähigkeit eines Schiffes garantiert, auf dem sich 190 Mann Besatzung, 23 Stabsoffizieren und -unteroffizieren für die Operation Atalanta und drei zusätzliche Gäste befinden – insgesamt 216 Personen.

Brandbekämpfung

„Der tägliche Rundgang durchs Schiff gehört zu meinen wichtigsten Aufgaben“, sagt Bargado und schreitet vorbei an Männern mit nichts als einem Badetuch um die Hüften und Flipflops an ihren Füßen weiter durch die Gänge. Feuchtwarme Luft steht zwischen den gelben Stahlwänden. Es riecht nach Seife, Deo, nach Kombüse, Öl , technischen Geräten und wer weiß was noch alles – bis die Klimaanlage einen Zacken zulegt und es wieder wie in einem Krankenhaus riecht.

Sicherheit ist ein zentrales Thema an Bord. Welche Folgen es haben kann, wenn man es mit den Vorschriften nicht ganz so genau nimmt, zeigen einige Schilder im Dina 4 Format, die überall im Schiff verteilt sind. Bargado bleibt kurz vor einem der Bilder stehen: Darauf abgebildet ist das, was früher eine menschliche Hand gewesen sein muss. Die Finger sind kaum mehr zu erkennen, alles ist schwarz, aufgequollen. „Das ist eine Brandverletzung aus dem Falklandkrieg, die passiert ist, weil die Feuerschutzhandschuhe nicht richtig angezogen worden sind.“

Auch bei der jüngsten Feuerwehrübung, bei der sich ein vollausstaffierter Löschzug samt Schläuchen, schwerer Ausrüstung und Schutzbrillen durch die Gänge und Treppen quetschte, hat Bargado wieder auf die Standards geachtet: Haben alle ihre feuerfesten Hauben auf? Liegen die Schläuche richtig? Sind auch alle Luken mit Planen gegen Rauch gesichert?

Auch bei der Feuerübung war die Zeit gut gewesen, besser sogar als vorgeschrieben. Die „Vasco da Gama “hätte den Brand problemlos überstanden, zumindest theoretisch. „Wir üben das auch jeden Tag – entweder den Kampf gegen einen Brand, oder gegen ein Leck“, sagt Schadensabwehoroffizier Paulo Machado im schiffstechnischen Leitstand. Bargado hat da seinen Helm schon wieder abgesetzt. Scherzt mit der Mannschaft. Ein Lächeln hier, ein Schulterklopfen da.

Der erste Offizier marschiert weiter an Duschen und Offizierkabinen vorbei, treppauf, treppab, prüft Warnwesten und hängt Sicherheitsleinen wieder ein. „Letztlich bin ich für die Sicherheit und für die Sauberkeit auf dem ganzen Schiff verantwortlich“, sagt Bargado. Seine wichtigsten Auftritte hat der oberste Sicherheitschef an Bord allerdings immer dann, wenn Muskelkraft und Manpower zum Einsatz kommen.

So wie am Mittag, als die „Vasco da Gama “das zweite Mal auf hoher See auftankt. Es ist heiß, weit über 30 Grad, als der 210 Meter lange Versorger „USNS Alan Shepard “steuerbords neben der portugiesischen Fregatte durchs Meer fährt. Bargado ist auf dem Posten. Mit dem Funkgerät am Mund dirigiert er seine Leute. Die „Vasco da Gama “nimmt neues Marinedieselöl auf.

Die Verfolgungsjagden der vergangenen Tage haben die Vorräte schwinden lassen. Die Gasturbinen schlucken 9.000 Liter in der Stunde. Bargado rechnet: 3,5 Stunden sind die Triebwerke gelaufen – macht insgesamt 31.500 Liter Öl. Die Tanks der „Vasco da Gama “sind zwar noch gut zur Hälfte mit 180 Kubikmeter Öl gefüllt, „aber das ist zu wenig“, sagt Bargdao. Wir müssen stets so viel Treibstoff an Bord haben, dass wir auf alles flexibel reagieren können.“

Das Tanken von Öl war für die Crew kein Problem, das von Wasser hingegen schon. Das Ventil des amerikanischen Schlauchs passte nicht. Kein Problem, ein passender Adapter schafft schließlich Abhilfe. Letztlich, wie alles an Bord, eine Frage der Übung. Bargado lächelt.

Seenotrettung und Betankung