ReportagePiratenjagd am Horn von Afrika

Mehr als 20 Schiffe und über 500 Menschen sind am Horn von Afrika in der Gewalt von Piraten. Handelsblatt Online begleitete die portugiesische Fregatte „Vasco da Gama“ Mitte April zehn Tage lang auf ihrer Jagd nach somalischen Piraten. Und mit einem Seeaufklärer der deutschen Marine  flog Reporter Florian Brückner über die Ostküste Somalias - über Camps und gekaperte Schiffe der Piraten.

Tag 03 – Piraten voraus

Mit Vollgas, die Maschinengewehre im Anschlag pflügen die maskierten Sonderkommandos der „Vasco da Gama“ in ihren Schlauchbooten auf die jemenitische Dhau zu. Das 15 Meter lange Holzschiff mit dem Spitzen Bug schwankt schwer im Wasser hin und her. Über den Köpfen der somalischen Besatzung kreist der Super-Lynx-Hubschrauber, ein Scharfschütze hat die Männer von Bord der Fregatte aus ins Visier genommen, ein schweres Maschinengewehr ist ausgerichtet. Die Arme der neun Somalier sind in der Luft.

Eines der beiden Schlauchboot umkreist die Dhau. Die Maschinengewehre der portugiesischen Marine-Infanteristen sind im Anschlag. Das zweite Team legt an, der erste Mann klettert an Bord. Die somalische Crew hat sich in den Bug ihres Schiffes zurückgezogen. Ihre schwarzen Gesichter glänzen in der heißen Vormittagssonne. Die Anspannung an Bord der „Vasco da Gama“ ist groß. Einfaches Fischerboot? Bewaffnete Piraten?

Am frühen Morgen hatten die ersten alarmierenden Nachrichten die „Vasco da Gama“ erreicht. Eine Reihe von Handelsschiffen hatte kleine Boote beobachtet, die in hoher Geschwindigkeit auf sie zugerast – und erst im letzten Moment abgedreht seien.

Die Portugiesen reagierten schnell, schickten ihren Helikopter auf Erkundungsmission. Um 8 Uhr dann die Nachricht: Wir haben etwas gefunden. Die unter jemenitischer Flagge fahrende Dhau. Verdächtig: Das Schiff hat zwanzig Ölfässer an Bord. Genug, um damit eine Reihe von kleineren Piratenschiffen auf hoher See zu betanken.

Das heißt Alarm auf der Vasco da Gama, mehr als ein Viertel der Besatzung werden mobilisiert. Wenig später hatte die Fregatte die Dhau erreicht.

Kein Funkspruch wird beantwortet, weder auf Englisch, Französisch noch in der Landessprache Somali. Egal auf welcher Frequenz, egal auf welchen Kanal. Und die Dhau stoppt nicht. Sie dreht ab – aber mit acht Knoten hat das Boot in der schweren See keine Chance zu entkommen. Die Wellen sind 1,5 Meter hoch. Die „Vasco da Gama“ pflügt einfach hindurch, die Dhau stampft schwer durch die See.

Schließlich stoppt das Schiff. Erst kommen die Marines – dann der Dolmetscher. Die Soldaten haben nichts gefunden. Keine Waffen, keine Leitern, etwa um ein Schiff zu entern – und auch kein Funkgerät.  Leere Fässer, neun Männer. Sonst nichts. Abdourahman Bileh Hachim geht an Bord. Er kann mit den Somalis in ihrer Landessprache sprechen.

Seit 2009 begleitet der Leutnant in der blauen Tarnfleck-Uniform der Marine Djiboutis nun schon als Dolmetscher Kriegsschiffe der Operation Atalanta auf ihren Missionen im Golf von Aden. Seitdem hat er mit vielen angeblichen oder echten Piraten gesprochen, genauso wie mit unschuldigen Somalis – so wie diesen neun Männern. „Sie hatten keine Angst, denn sie haben mit einer solche Militäraktion gerechnet“, sagt der hochgewachsene, schlanke Mann. Er hat die Somalis im Alter von Mitte 20 bis Mitte 30 befragt. Streng nach einem eigens dafür aufgesetzten Fragenkatalog: Name? Alter? Verheiratet?

Wer in Somalia in ein Boot steigt, um etwa Fische im Jemen zu verkaufen und im Gegenzug Treibstoff mitzunehmen, muss mit Fragen wie diesen rechnen. Das ist der Alltag: Ein Kriegsschiff stoppt ein somalisches Boot, bewaffnete Kommandos kommen an Bord. Alles wie bei der „Vasco da Gama“.

„Als Militärs bleibt uns allein aus Sicherheitsgründen keine andere Wahl“, sagt Hachim. Wer weiß schon, wer ein harmloser Zivilist ist und wer nicht. „Die Piraten sind sehr intelligent“, sagt Hachim. Er blickt durch seine schmale, schwarze Brille: „Wenn sie ein Militärschiff kommen sehen, werfen sie die Waffen einfach über Bord.“ Und wenn dann zum Schein auch noch Körbe mit frischem Fisch an Bord seien, werde es schwierig.

Wie gefährlich die Durchsuchung einer Dhau sein kann, stellt sich wenige Tage später heraus. Die dänischen Fregatte „HDMS Esbern Snare“ will eine verdächtige Dhau untersuchen. Wie bei der „Vasco da Gama“ sollen Kommandos an Bord gehen – doch die Enteraktion mündet in einer Schießerei. Die Somalis an Bord, so die Nato in einer offiziellen Stellungnahme, hätten plötzlich auf das Enterkommando der Dänen geschossen. Diese erwiderten das Feuer. Am Ende verlieren wohl vier mutmaßliche Piraten ihr Leben, sechs werden verwundet.

Aber genauso wie die ganze Vorsicht der Militärs im Golf von Aden richtig und wohl auch unumgänglich ist, so problematisch und vielleicht auch schädlich ist sie. „Was wird der Kapitän dieses Schiffes seiner Familie, seinem ganzen Clan erzählen, wenn er nach Hause kommt?“, fragt Hachim ernst, als er über die Durchsuchungsaktion des heutigen Tages nachdenkt. Von schwer bewaffneten Ausländern mitten im Golf von Aden, also vor der eigenen Haustür, als unschuldiger Zivilist gestoppt und ausgefragt zu werden, kommt in Somalia vielleicht nicht gut an – und könnte negative Folgen haben.

Denn es gibt Kräfte in dem zerfallenen Staat, die aus Berichten über das Vorgehen des Westens Kapital schlagen, es für ihre Propaganda nutzen. Die al-Shabaab zum Beispiel, die große unbekannte Größe im Konflikt mit den Piraten vor der Küste Somalias. Die islamistische Bewegung kämpft erbittert um die Herrschaft über Somalia – und damit auch gegen die westlichen Staaten, die die schwache Übergangsregierung unterstützen.

Die al-Shabaab hat sich bereits früher die Ablehnung und die Enttäuschung innerhalb der Bevölkerung Somalias gegen „den Westen“ zunutze gemacht. Berichte wütender somalischer Kapitäne über westliche Kriegsschiffe könnten Wasser auf die Mühlen der Islamisten sein.

Nach einer Stunde ist für  die Mannschaft des aufgebrachten somalischen Schiffes alles vorbei. Die „Vasco da Gama“ setzt ihre Fahrt fort. Die Dhau auch. Kurs Jemen. Keine Spur von Piraten.

Marines der „Vasco da Gama“ entern eine verdächtige Dhau