ReportagePiratenjagd am Horn von Afrika

Mehr als 20 Schiffe und über 500 Menschen sind am Horn von Afrika in der Gewalt von Piraten. Handelsblatt Online begleitete die portugiesische Fregatte „Vasco da Gama“ Mitte April zehn Tage lang auf ihrer Jagd nach somalischen Piraten. Und mit einem Seeaufklärer der deutschen Marine  flog Reporter Florian Brückner über die Ostküste Somalias - über Camps und gekaperte Schiffe der Piraten.

Tag 02 – Auf der Suche nach den Piraten

Gigantische Mauern, Türme auf See schieben sich am Horizont durch den Dunst über dem Golf von Aden. Ein Blick durchs Fernglas – und aus dem Bild blau-roter Klötzchen wird ein Container-Schiff der französischen Reederei CMA CGM. Eines von gut 50 bis 70 Schiffen, die täglich den 1000 Kilometer langen und 40 Kilometer breiten Sicherheitskorridor IRTC (International Recommended Transit Corridor) durch den Golf von Aden passiert. Ein mögliches Opfer für Piraten, ein Schützling der „Vasco da Gama“.

Die portugiesische Fregatte ist in ihrem Operationsgebiet angekommen. Sie kreuzt jetzt 80 Seemeilen südöstlich von Aden. Die Brücke ist das Auge der „Vasco da Gama“. Fünf Männer und Frauen steuern hier das Schiff und überprüfen rund um die Uhr mit Radar und Fernglas ein Schiff nach dem anderen. Ihre Schicht dauert drei Stunden, dann werden sie von einem Team abgelöst, das die ganze Zeit über einsatzbereit auf Standby steht. Zehn Soldaten sind also 24 Stunden am Tag im Einsatz – allein hier auf der Brücke. Ein wachhabender Offizier führt das Kommando. Unterstützt werden die Seeleute von einem Marine-Infanteristen.

Jede Stunde setzt das Kriegsschiff im Golf von Aden nun denselben  Funkspruch auf dem allgemeinen Kanal 16 ab: „Hier ist das portugiesische Kriegsschiff Vasco da Gama…“, spricht Leutnant Marina Miranda über einen Telefonhörer ins Funkgerät. Ihre schwarzen Haare sind hochgesteckt. „Wir wollen damit Präsenz zeigen, und den Schiffen ein sicheres Gefühl vermitteln“, sagt Korvettenkapitän João Piedade,  Wachleiter der Operationszentrale.

Doch nicht nur das. Es geht auch um die so gennanten Best Management Practices, kurz BMPs, Ratschläge für Reeder und Seeleute zur Abwehr von Piraten. Wann immer ein Kriegsschiff – sei es von der europäischen Koalition, der Taskforce 151 oder der Nato-Operation Ocean Shield – Funkkontakt mit einem Handelsschiff hat, geht es um Stacheldraht, Wasserkanonen, Schutzräume und wachhabende Crewmitglieder, die nach Piraten Ausschau halten. „Wenn Piraten auf ein gut geschütztes Schiff zusteuern, brechen sie ihren Angriff meistens ab. Selbstverteidigung ist der beste Schutz – und verschafft uns Zeit, um auf einen Notruf zu reagieren“, sagt Piedade.

Viele Schiffe im Golf von Aden können die Portugiesen auch dank des Schiffsortungs- und Informationsdienstes AIS per Sattelitenübertragung auf ihrem Computer direkt kontrollieren. Ein Klick genügt, um die wichtigsten Details zu erhalten: Name, Zielhafen, Tragfähigkeit, Tiefgang, alles enthalten.  Doch das gilt nicht für dieses Schiff, was etwa eine halbe Stunde Fahrt entfernt auf der Steuerbordseite ausgemacht worden ist.

„Muss ein Kriegsschiff sein“, sagt Leutnant Pedro Pereira, der das unbekannte Objekt auf der Steuerbordseite ausgemacht hat. Durch das Fernglas werden graue Aufbauten sichtbar. Ein Anhaltspunkt. Die Soldaten an Bord der „Vasco da Gama“ holen ein Fotobuch heraus, blättern durch die vielen Seiten, auf denen die verschiedensten internationalen Kriegsschiffe abgebildet sind. Ein Malaysier? Ein Taiwanese? Weder noch.

Per Funk meldet sich ein Frachter der amerikanischen Navy. Bei weitem nicht das einzige Kriegsschiff im Golf von Aden. Gegenwärtig sind allein von EU, Nato und der amerikanisch geführten Taskforce 151 insgesamt 19 Kriegsschiffe im Einsatz – allein operierende Nationen wie etwa China, Pakistan oder Indien noch gar nicht mitgerechnet.

Damit ist aus einem der gefährlichsten Seegebiete weltweit mittlerweile eines der laut Militärs vielleicht sichersten geworden. Die militärische Präsenz ist enorm, und sie ist stes spürbar. Über Funk meldet sich regelmäßig der US-Zerstörer „USS Mason“ bei den Handelsschiffen – das Kommandoschiff der Taskforce 151 deren einziges Ziel es ist, Piraten zu finden und aus dem Verkehr zu ziehen. Offenbar mit Erfolg. Kein Handelsschiff will an diesem Tage etwas Verdächtiges bemerkt haben.

Doch die Ruhe ist trügerisch. Und wie real die Angst, die Furcht vor einem Piratenangriff ist, zeigt sich vor allem nachts. Auf der Brücke der „Vasco da Gama“ ist es jetzt stockdunkel. Die Uhr zeigt kurz nach ein Uhr an. Nur das dumpfe Leuchten einiger Anzeigen und Monitore ist zu sehen. Es ist fast Vollmond. Das Meer ist in ein silbriges Licht getaucht. Trotzdem ist die Sicht schlecht.

Dicht an die Fensterscheiben gedrückt sucht die Mannschaft das Meer ab. Der Himmel hängt wie eine Schieferplatte über der See. Vereinzelt sind kleine leuchtende Punkte auszumachen, Positionslichter anderer Schiffe. Durch die Linse seines Scharfschützengewehrs blickt João Fernandes aufs offene Meer. Er ist einer der beiden Marine-Infanteristen, die den Männern auf der Brücke den Rücken freihalten soll.

Plötzlich blitzt in der Dunkelheit ein Licht auf. Ein dicker, gelber Punkt hängt meilenweit sichtbar am Horizont. „Eine der Wachen auf der Pluto Glory hat offenbar einen der Suchstrahler angemacht“, sagt Pereira, der heute die Wache auf der Brücke von 1 bis 4 Uhr hat. „Das Licht soll den Piraten signalisieren, dass die Crew vorbereitet ist.“

Das ist die „Pluto Glory“ zweifellos. Im schwarz-weißen Wärmebild des Thermal-Fernglases wird Stacheldraht sichtbar, der entlang der Reling des Tankers gespannt ist. Wasser fließt aus dicken Schläuchen, die übers Deck hängen. Die Wasserkanonen zur Abwehr von Piraten sind einsatzbereit. Nur die Geschwindigkeit von 14 Knoten, gut 26 Stundenkilometer, ist Pereira zu langsam. „16 Knoten wären besser.“

Andere Schiffe vertrauen bei ihrer Passage durch die Meerenge nicht nur auf Stacheldraht und Wasserkanonen. Sie schließen sich einem Konvoi an. Stunden zuvor etwa hat der südkoreanischer Zerstörer „ROKS Choi Young“ mit gleich 14 Handelsschiffe die „Vasco da Gama“ passiert. Kurs: Suez-Kanal, das Nadelöhr, durch das all jene müssen, die nach Europa wollen – und deren Schiff nicht zu groß dafür ist. Seitdem die „Vasco da Gama“ ihr Operationsgebiet erreicht hat, sind im Schnitt zwei bis drei Konvois am Tag durch den Golf von Aden gefahren, oft auch unter chinesischer Führung. China gehört wie Indien zu den Ländern, die auf eigene Faust, außerhalb der drei großen Anti-Piraten-Missionen, operieren. Die Seeroute nach Europa ist wichtig für das Reich der Mitte - wie auch für Deutschland.

Experten rechnen fest damit, dass der Handel mit asiatischen Ländern auf eher als unsicher geltenden Seewegen wie dem durch den Golf von Aden und das Arabische Meer weiter steigen wird, wie es etwa in einer Untersuchung des deutschen Forschungsprojekts „PiraT“ heißt, das sich mit Piraterie und maritimen Terrorismus beschäftigt. Für Deutschland seien sichere Handelsrouten vor allem für die exportorientierte Autoindustrie und den Maschinenbau von entscheidender Bedeutung.

Bei der Sicherung der Handelsrouten sollen nach gut informierten Kreisen manche Länder allerdings wenig zimperlich vorgehen. Im Golf von Aden eilt etwa der indischen wie auch der chinesischen Marine ein recht zweifelhafter Ruf voraus. Wenn Inder oder Chinesen auf Piraten treffen würden, gingen sie dabei selten zimperlich zur Sache zu, heißt es bei manchen Militärs. Von Fregatten, die in voller Fahrt einfach somalische Boote zermalmen würden ist die Rede. Seemannsgarn? Böse Gerüchte? Man weiß es nicht. Die See ist groß, genauso der Raum für Spekulationen.

Jetzt, im Schutz der Nacht, zwischen 2 und 3 Uhr, versuchen nun die meisten Schiffe durch den Golf von Aden zu kommen. Bislang schlagen die Piraten meistens tagsüber zu. Dass das auch so bleibt, hoffen wohl alle Seeleute. Der dicke gelbe Lichtspot auf der „Pluto Glory“ erlischt. Der Stacheldraht, die Wasserkanonen und die Angst vor Piraten bleiben.

Auf der Suche nach Piraten