ReportagePiratenjagd am Horn von Afrika

Mehr als 20 Schiffe und über 500 Menschen sind am Horn von Afrika in der Gewalt von Piraten. Handelsblatt Online begleitete die portugiesische Fregatte „Vasco da Gama“ Mitte April zehn Tage lang auf ihrer Jagd nach somalischen Piraten. Und mit einem Seeaufklärer der deutschen Marine flog Reporter Florian Brückner über die Ostküste Somalias - über Camps und gekaperte Schiffe der Piraten.

Tag 01 – Auf ins Operationsgebiet

Die Sonne geht unter, als die „Vasco da Gama“ den Tanker auf hoher See im Golf von Aden erreicht. Steuerbords stampft die spanische Fregatte „ESPS Canarias“ bereits neben der „USNS John F. Kaiser“, einem Versorger der US-Marine. Von Backbord schiebt sich Meter für Meter die „NRP Vasco da Gama“ im Schein der letzten Sonnenstrahlen des Tages heran – bis sie längsseits des Versorgers der amerikanischen Marine liegt. Schwere Wellen rollen zwischen den beiden Schiffen hindurch. Der gefährlichste Einsatz des Tages kann beginnen: Die „Vasco da Gama“ braucht neues Marinedieselöl.

Der Hubschrauber der Portugiesen kreist mit lautem Dröhnen um die drei Kriegsschiffe. Das Leuchten der Positionslichter bricht sich im tiefblauen Meer des Indischen Ozeans. Ein starker Wind ist aufgekommen und zerrt an den Planen an Deck der „Vasco da Gama“. Auf dem Unterdeck sind nur noch die weißen Schutzhelme und die neongelb leuchtenden Warnwesten der portugiesischen Crew zu sehen. Jetzt gilt es für João Folgado Bargado, den Ersten Offizier des Schiffes, und seine 20 Männer und Frauen an Deck.

Sie haben den Einsatz oft geübt, und auf ihrer Fahrt von Portugal ans Horn von Afrika hat die „Vasco da Gama“ auf hoher See auch bereits neuen Treibstoff aufgenommen. Aber es ist dunkel, es war ein langer erster Tag im Operationsgebiet und „eine Betankung auf See ist immer eine riskante Operation“, sagt Bargado. Er hat hier an Deck das Kommando.

Er steht dicht hinter seinen Leuten – die auf den schweren Tankschlauch der Amerikaner warten. „Wer hier nicht aufpasst und sich genau an die Regeln hält, kann einen Arm verlieren – oder schlimmeres“, sagt Bargado. Die Kräfte, die an den Seilen zerren sind enorm. Bergado weiß, was passiert, sollte einer seiner Männer im schlimmsten Fall des Falles eines der Seile um den Arm gewickelt haben. Das darf nicht passieren. „Wenn das hier nicht gut geplant ist, würde das totale Chaos ausbrechen.“

An Bord des amerikanischen Frachters werden die gewaltigen schwarzen Schläuche in Bewegung gesetzt, die an großen Kränen hängen. Die gelben Schutzhelme der Seeleute glänzen im Scheinwerferlicht, während die Fregatten an beiden Seiten des US-Schiffes fast völlig im Dunkeln liegen. Dieses Manöver ist Teil einer Militäroperation. Hier sind die Gewässer, in denen noch vor wenigen Monaten Piraten wieder und wieder Handelsschiffe kaperten. Deswegen sind die drei Schiffe hier.

Wobei es für den Kapitän der „Vasco da Gama“ einen entscheidenden Unterschied zwischen der europäischen Mission Atalanta und etwa der unter Nato-Kommando stehen Operation Ocean Shield gibt. „Unsere Hauptaufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass die Schiffe des Welternährungsprogrammes Mogadischu erreichen“, sagt José Diogo Arroteia. An erster Stelle stünden die Lebensmittel für die Menschen Somalias - dann kommt die Sicherheit aller übrigen Handelsschiffe.

Und für die portugiesische Marine im Allgemeinen und für die „Vasco da Gama“ und ihre Mannschaft im Besonderen ist es so oder so ein besonderer Einsatz: „Es ist das erste Mal, dass ein portugiesisches Schiff an dieser Operation teilnimmt. Dass wir dabei auch noch das Flagschiff mit dem Kommandanten an Bord stellen, ist für uns eine große Ehre“, sagt Diogo Arroteia.

Am frühen Morgen, gut zehn Stunden zuvor im Hafen von Djibouti hatte der portugiesische Kommodore Alberto Correia für die kommenden vier Monate das Kommando von den Spaniern übernommen.

Die Ehrenformationen von Portugiesen und Spaniern hatten ganz in weiß in Habachtstellung auf dem Flugdeck der „Canarias“ Haltung angenommen. Spanier, Portugiesen, Deutsche, Finnen, Belgier und Briten, Militärs fast aller beteiligten Länder waren da. Ein stolzer Tag für die portugiesische Marine. Der erste Einsatz für Atalanta, und dann gleich mit Oberkommando. Wenige Stunden später war die „Vasco da Gama“ ausgelaufen – und hatte den Hafen, die Hitze und die staubigen Straßen Djiboutis hinter sich gelassen.

Zehn Tage lang wird die Fregatte nun im Golf von Aden kreuzen und im internationalen Schutzkorridor für Handelsschiffe patroullieren. Seine weiße Galauniform hatte Kommodore Correia bald ausgezogen. Der formelle Teil ist beendet, die Operation hat begonnen. Stunden bevor die „Vasco da Gama“ mitten auf dem Meer neuen Treibstoff aufnehmen wird, steht der 1959 geborene Marineoffizier mit in einem dunkelblauen Overall auf dem Oberdeck neben der Brücke und blickt in Richtung Horizont. Correia macht sich nichts vor, so wie keiner der Offiziere an Bord. „Den Kampf gegen die Piraten können wir nicht gewinnen, weil er nicht auf See, sondern in Somalia entschieden wird. Wir können nichts dagegen unternehmen, wenn junge Somalis aus lauter Hoffnungslosigkeit zu Piraten werden, um schnell viel Geld zu machen.“

Solange Somalia ein „Failed State“, ein gescheiterter, zerfallener Staat ist, stehen die Chancen allerdings schlecht, dass im Land selbst gegen Piraten oder auch nur gegen die Armut angekämpft wird. Somalias provisorische Übergangsregierung in der zerrissenen Hauptstadt Mogadischu ist zu schwach und mitten in einem nicht endenden wollenden Bürgerkrieg etwa mit der radikal-islamischen al-Shabaab.

Und der Westen? Warum nicht die Heimatbasen der Piraten direkt angreifen? Die Gefahr dort ausschalten, wo sie entsteht? Solche Gedankenspiele beantwortet Correia nur mit einer einzigen Gegenfrage: „Kennen Sie den Spielfilm Black Hawk Down?“ Kein Politiker und letztlich auch kein Militär will den Tod eigener Soldaten mit all den Konsequenzen erleben, die der Starregiesseur Ridley Scott in seinem Film über die Katastrophe eines fehlgeschlagenen Rettungseinsatzes in Mogadischu geschildert hat.

Auf See, vor der Küste Somalias sieht die Lage allerdings aus. Längst haben die Militärs die größten Heimathäfen der Piraten ausgemacht – und Kriegsschiffe direkt vor der Nase der Piraten postiert. „Wenn ein Boot versucht, aufs hohe Meer zu entwischen, können wir es dort abfangen“, sagt Correia. Aber die Küste Somalias ist lang, und kleine Boote können praktisch überall ablegen. Es ist ein Katz- und Mausspiel.

Die Überlegungen des Kommodores und seines Stabes sind von den Soldaten der „Vasco da Gama“ weit entfernt. Erst recht in dieser Nacht. Der Mond scheint durch die wenigen Wolken am Himmel, der Geruch von Öl sticht trotz der frischen Brise in der Nase. Die Versorgungsleitung zum amerikanischen Tanker steht. Binnen 30 Minuten werden 100 Kubikmeter Marinedieselöl an Bord gepumpt. Bei einer ruhigen Fahrt von zwölf Knoten kommt die Fregatte damit zehn Tage aus – bei einer Höchstgeschwindigkeit von 32 Knoten mit den beiden Gasturbinen wäre allerdings nach anderthalb Tagen Schluss.

Die Arbeit des Ersten Offiziers Bargado ist getan. Niemand wurde verletzt. Der Helikopter ist gelandet und im Hangar. Die Nacht ist über den Golf von Aden hereingebrochen. Die „Vasco da Gama“ ist einsatzbereit.

Die Fregatte tankt auf See bei Einbruch der Nacht auf